Das Geheimnis der Maurin
keine Schuld. Das alles war nur … Mein Gott, ich habe es dir doch vorgelebt …« Und in der Tat konnte sie sich noch bestens daran erinnern, wie sie sich damals in Jaime verliebt und ihn mit jeder Faser ihres Körpers herbeigesehnt hatte. Oh ja, sie verstand ihre Tochter, und wie sie sie verstand, aber in Zeiten wie diesen war Liebe das Letzte, was zählte.
»Chalida, ich … Bitte, du musst mir schwören, dass du Aaron nicht wiedersiehst! Selbst wenn du Musheer nicht versprochen wärest – eine solche Verbindung kann nicht gutgehen!«
»Aber früher habt Ihr und Vater Euch doch auch geliebt!«
Zahra hob die Hand, als wollte sie Chalida ebenso wie die Worte, die sie ausgesprochen hatte, von sich drücken, ließ sie dann wieder sinken und stöhnte: »Du weißt nicht, wovon du redest, und gebe Gott, dass du es nie erfährst. Lieben … Mein Gott, wenn es nur das wäre! Aber Allah will nicht, dass wir Ungläubige lieben! Und du siehst doch, was aller Liebe zum Trotz aus deinem Vater und mir geworden ist!«
»Oh nein, Mutter, das ist nicht
geworden,
auch wenn ich das zuerst selbst so gesehen habe. Inzwischen denke ich: Ihr habt es
werden lassen!
Und
Ihr
seid diejenige, die sich verändert hat, nicht Vater.«
Zahra lehnte den Kopf an die Wand und starrte zur Decke. »Früher, zu Zeiten des Maurischen Königreichs von Granada, habe auch ich geglaubt, guter Wille und Toleranz seien ausreichend, damit wir uns alle verstehen, aber dann haben die Katholischen Könige den Emir vertrieben – und damit das Glück unseres Volkes!« Sie sah wieder zu Chalida. »Nein, Kind, es kann keinen Frieden mehr zwischen uns geben, nie mehr!«
»Die Christen, die Juden, die Muslime – immer und immer wieder sagt Ihr dasselbe!«, brauste Chalida auf. »Als es im Frühjahr hieß, dass wir uns taufen lassen müssen – wisst Ihr, dass ich da im ersten Moment fast erleichtert war? Ich dachte, dann würden sie endlich aufhören, diese endlosen Streitgespräche, wer an welchen Gott glaubt und wer im Recht ist. Als Kind gab es für mich nur den muslimischen Glauben, da ich von Vater kaum etwas mitbekommen habe. Aber dann kamen die Christen nach Granada, und Vater hat mich manchmal mit in seine Kirche genommen – heimlich, weil er genau wusste, dass Euch das wütend machen würde. Dabei hatte ich ihn selbst darum gebeten, weil ich wissen wollte, was in seiner Kirche schlechter als in unserer Moschee sein sollte. Und wisst Ihr was, Mutter? Ich musste feststellen, dass ich Gott dort ebenso spüren konnte wie in unserer Moschee, und bei unseren Gebeten – und wenn ich Deborah mit ihren Kindern beten sah, ging es mir nicht anders. Wer sagt Euch denn, dass es nur Euren Gott gibt? Oder woher wisst Ihr, dass wir nicht alle zu demselben Gott beten?«
»Verzeiht, wenn ich mich ungefragt einmische«, sagte da eine brüchige Frauenstimme hinter ihnen. Zahra und Chalida wandten den Kopf. Esther, eine ältere, überaus hilfsbereite Jüdin trat schüchtern zu ihnen. »Ich habe mitbekommen, worüber Ihr redet, und würde Euch gern eine Geschichte erzählen, eine Geschichte, die Euch vielleicht ebenso helfen kann, wie sie mir einst geholfen hat …«
Zahra hob unwillig die Augenbrauen, nickte der Frau aber trotzdem zu und lud sie mit einer zögerlichen Geste ein, bei ihnen Platz zu nehmen. Das Hinsetzen fiel der gebeugten Frau schwer, und als ein wenig Licht auf ihre Hände fiel, sah Zahra, dass Esthers Fingerkuppen verkohlt waren. Ungläubig fasste sie nach der Hand, doch die Alte entzog sie ihr mit einem sanften Lächeln. »Das ist nichts, das vergeht. Wie alles Irdische vergeht!«
»Haben sie Euch das heute früh angetan?«, fragte Zahra. Esther nickte so verlegen, als trüge sie selbst Schuld an den Verstümmelungen. Mit Tränen in den Augen strich Zahra ihr über den Arm. Sie hatte derart zugerichtete Hände schon einmal gesehen und wusste, dass man bei dieser Art der Folter brennende Zündhölzer unter die Fingernägel schob – und das so lange, wie die Zündhölzer noch irgendwie einen letzten Hauch Halt am Finger fanden …
Die Jüdin verbarg die Hände im Schoß. »Seid versichert, dass ich Eure Qual ebenso gut wie die Eurer Tochter verstehe – weil es auch mir viele Jahre ähnlich erging: Ich bin Jüdin, aber der Mann, den ich liebte, war Muslim, und schließlich bin ich, um ihm noch näher sein zu können, zum muslimischen Glauben übergetreten und deshalb von meinen Eltern verstoßen worden. Seither habe ich mich immer
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