Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Weinessig getränkten Tuch bereitstand und es Aaron unter die Nase hielt.
Einen bangen Augenblick lang tat sich nichts, bis Aaron zu husten anfing und wieder zu sich kam. Er schien noch benommen zu sein, Esther und Anna halfen ihm auf und führten ihn zu einem Strohbett in der Ecke, wo er sich wieder niederlegte und die Augen schloss.
»Danke«, murmelte er. »Lasst mich nun ein wenig ausruhen. Und du, Bruder Marian, nimmst jetzt auf der Stelle ein Bad mit der Tinktur, die ich dir hergerichtet habe. Reibe dich nach dem Bad mit der Salbe ein! Esther gibt dir Seife und etwas zum Anziehen. Mit Verlaub – aber du stinkst fürchterlich …« Den letzten Satz brachte er gerade noch heraus, bevor er sich wegdrehte und eingeschlafen war.
Esther deckte ihn zu und sah Anna an, wobei sie die Nase rümpfte. »Wo er recht hat, hat er recht«, sagte sie und ging voraus. »Komm!«
Aarons geräumiges, zweistöckiges Haus war aus massivem Stein und Fachwerk und in allem genauestens durchdacht und eigens für die Zwecke eines Medicus angelegt. Im Erdgeschoss war sogar noch eine Badestube, die man direkt über den Bach gebaut hatte, der unter dem Haus hindurchfloss.
Geld für einen solch extravaganten Bau hatte der Medicus genug, seit er der kaiserlichen Familie einige Dienste hatte erweisen können, die ihm trotz seiner jüdischen Herkunft nicht nur den Respekt und die Anerkennung höchster Kreise einbrachten, sondern auch zahlungskräftige Kundschaft, denn seine profunden Kenntnisse und seine Heilerfolge sprachen sich mit der Zeit herum. Er bekam das ausdrückliche kaiserliche Privileg, außerhalb der Stadtmauern und nicht im Ghetto zu wohnen, und stand unter dem persönlichen Schutz des Grafen von Landskron.
Doch seinen Reichtum und seine unorthodoxen Praktiken, die so gar nicht mit der herkömmlichen und von der Kirche anerkannten Heilkunde in Einklang standen, konnte sich Aaron nur bewahren, solange er unter dem Schutz seiner hohen Förderer stand. Denn es gab genügend Neider, Feinde und Konkurrenten, die seine Methoden als heidnisch oder sogar als Hexenwerk verteufelten und nur darauf lauerten, den verhassten Judenmedicus mit seinen unchristlichen Methoden, die sämtliche gängigen Lehren in Frage stellten, zu beseitigen.
Als Anna in die Badestube kam, stand da ein großes gefülltes Wasserbecken, das die Magd Rebecca bereits mit heißem Wasser angewärmt hatte. Der warme Dampf breitete sich im ganzen Raum aus und verlieh ihm eine wohlige Atmosphäre. Auch Seife, Tücher und ein Gewand lagen schon für Anna bereit. Sie stellte ihren Tiegel mit der Salbe und das Fläschchen mit der Tinktur am Beckenrand ab und versicherte sich, dass die Tür geschlossen war. Endlich war sie allein. Ein warmes Bad nehmen zu dürfen war ein Luxus, den sie noch nie erlebt hatte. Neben dem Stück Seife, das sie wie einen wertvollen Schatz in die Hand nahm und befühlte, stand sogar noch eine kleine Flasche mit einer duftenden Essenz, an der sie roch, es war edles Rosenöl.
War es eitel und sündhaft, wenn sie sich angesichts dieser Kostbarkeiten vorkam wie die Königin von Saba?
Nein, sie beschloss, derlei Gedanken für diesen Augenblick beiseitezuschieben und zu genießen, was ihr das Schicksal so unverhofft beschert hatte. Wer konnte schon wissen, womit sie für dieses kurze Glück einmal würde büßen müssen.
Langsam entledigte sie sich ihrer klammen Kleidung und spürte plötzlich die Erschöpfung in allen Knochen. Sie gab fünf Tropfen der Tinktur ins Becken, stieg ins Wasser und ließ sich vorsichtig hineingleiten. Als das Wasser ihren Körper bedeckte, lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. So wohl und sicher hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt. Sie tauchte ganz unter und hatte für einen kurzen Augenblick das himmlische Gefühl, schwerelos zu sein und zu schweben. Vielleicht gab es doch einen Gott, der für Gerechtigkeit sorgte und diejenigen belohnte, die Mühsal und Schicksalsschläge auf sich nehmen mussten, bis sich ihr Leben zum Besseren kehrte.
Sie fing an, sich den Schmutz und die Krusten ihrer Hautkrankheit abzuwaschen. Dabei kam ihr der Traum in den Sinn, den sie in den Nächten in ihrer Klosterzelle geträumt hatte, wenn endlich alles ruhig war und kein Patient mehr ihrer Hilfe bedurfte.
Sie war eine anerkannte Medica, und eine furchtbare Krankheit überzog das ganze Land. Aber Anna wusste aus einem geheimnisvollen Buch von einer Blume, die alles heilen konnte, alles Leid und alle Schmerzen. Niemand
Weitere Kostenlose Bücher