Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
waren schon erste Härchen zu erspüren. Es fühlte sich gut an. Darüber freute sie sich beinahe überschwänglich. Es war wie ein Neubeginn. Der Neubeginn ihres wahren Lebens. Nie wieder würde sie sich den Schädel rasieren. Nein, es konnte keine Sünde sein, so zu leben, wie man leben wollte. Auch wenn man eine Frau war. »Erst die Möglichkeit, deinen Traum zu verwirklichen, macht das Leben lebenswert«, so lauteten die Worte ihres Vaters.
In diesem Augenblick beschloss Anna für sich, dass es so sein müsse. Und davon würde sie niemand mehr abbringen. Das schwor sie sich.
IV
G ero von Hochstaden träumte. Nicht etwa seinen üblichen Alptraum, aus dem er verschwitzt und verwirrt aufzuwachen pflegte, weil die Unholde und Monster, die ihn piesackten, alle auf einmal zwei verschiedenfarbige Augen hatten, wie dieses unverschämte Mönchlein, das er nicht vergessen konnte. Obwohl Bruder Marian vor seinen Augen in den Tod gesprungen und gottsjämmerlich ersoffen war. Aber wahrscheinlich konnte er mit seiner Zauberkunst aus dem Jenseits nachts in Geros Träume eindringen und ihn dort weiter quälen.
Nein, Gero träumte, obwohl er hellwach war. Er lag auf seinem Bett und starrte zur Decke seiner Schlafstube empor.
Eines Tages wollte er mächtig sein. Mächtig und unerschrocken wie sein Onkel, Konrad von Hochstaden, der ständig damit beschäftigt war, am großen Rad zu drehen und die Geschicke des Reiches zu beeinflussen. Dafür war der Erzbischof bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Obwohl staufisches Blut durch seine Adern floss und er dem Kaiser ewige Treue geschworen hatte – und dafür mit den Regalien des Reiches belehnt wurde –, war er schon im Jahr darauf auf die päpstliche Seite eingeschwenkt, die es mit der welfischen Partei hielt, weil Friedrich II. immer eigenmächtiger handelte und den Primat des Papstes vor der Krone nicht anerkennen wollte. Papst Gregor IX. hatte für das Entgegenkommen Konrad von Hochstadens eine nicht unerhebliche Summe bezahlt. Aber jetzt war er tot. Und sein Nachfolger Coelestin IV. ebenso. Wer der nächste Papst sein würde und wann sich die wahlberechtigten Bischöfe endlich zusammenrauften, um ein Konklave einzuberufen, wusste niemand. Die Entscheidung seines Onkels, die Welfen zu unterstützen, war gewagt. Denn was konnte gefährlicher sein, als es mit dem großen Kaiser Friedrich II. aufzunehmen, dem stupor mundi, dem Staunen der Welt, der sich mit seiner Lebensweise und seinen Vorstellungen so weit über die Menschheit und sogar den Papst erhob? Manchmal wünschte sich Gero, er würde mehr von den politischen Ränken und Machenschaften verstehen, die seine Familie und insbesondere seinen Onkel nach ganz oben gespült hatten. Konrad von Hochstaden war ein wahrer Meister in diesen Dingen. Aber den mächtigsten Mann des Abendlandes herauszufordern, auch wenn der sich fast ausschließlich am anderen Ende der christlichen Welt aufhielt, war etwas, was Gero mit seinem Verstand nicht recht erfassen konnte. Warum reichte es seinem Onkel nicht, hier in seiner Heimat, dem Rheinischen, von allen hofiert und bewundert, oder besser noch: gefürchtet zu werden? Hier konnte er schalten und walten, wie es ihm beliebte, es gab keinen, der es auch nur im Entferntesten wagte, sich ihm und seinen Plänen in den Weg zu stellen. Aber sein Onkel wollte mehr, viel mehr. Vielleicht war es mit der Macht tatsächlich so, dass sie süchtig machte. Erzbischof Konrad von Hochstaden hatte vielzählige Verbindungen zu einflussreichen Männern in hohen Positionen, mit denen er geschickt wie ein Marionettenspieler auf dem Jahrmarkt spielte und manipulierte. Sein Bruder, Geros Vater Lothar von Hochstaden, behauptete manchmal zu vorgerückter Stunde, wenn er nach einigen Humpen Bier am heimischen Kaminfeuer ins Schwadronieren geriet, dass sich Konrad sogar des Papstes bediente.
Nur dass es gegenwärtig keinen Papst gab. Coelestin IV. war nach einem quälend langen Konklave zum Papst gewählt worden. Ganze siebzehn Tage war er das Oberhaupt der Heiligen Mutter Kirche gewesen, der Stellvertreter Christi, bis ihn Gott der Herr wieder abberufen und zu sich heimgeholt hatte. Und jetzt wartete die ganze Christenheit darauf, dass es endlich einen Nachfolger geben würde. Aber seit diesem denkwürdigen letzten Konklave fand sich niemand bereit, den Stuhl Petri einzunehmen. Dieser unwürdige Zustand dauerte nun schon über ein Jahr und war gefährlich, weil der Klerus in diverse Fraktionen zersplittert war
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