Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Reihen der Wartenden rechts und links der Straße ab, auf dass die Leute ja brav stehen blieben und nicht etwa auf die Idee kamen, mitten auf die Straße zu springen, um nach dem Tross des Königs Ausschau zu halten.
* * *
Auf dem Marktplatz von Oppenheim strömte eine riesige Menschenmenge zusammen, die Nachricht von der Ankunft des Königs hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Auch Aaron und Anna standen im Gedränge und fieberten dem Ereignis entgegen. Der Medicus wollte sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen, nachdem ihm einer seiner Patienten von dem bevorstehenden Besuch Konrads IV. erzählt hatte.
Die Angelegenheit war zunächst streng geheim gehalten worden. Die Spannungen im Reich zwischen Staufern und Welfen war so groß, dass die staufische Partei mit dem Schlimmsten rechnete, sogar mit einem Anschlag auf das Leben des jungen Königs. Trotzdem konnte sich der König nicht einfach in einem seiner Schlösser verstecken. Er war der erste Repräsentant der kaiserlichen Macht im Reich, er garantierte Ordnung, Stabilität und Recht, und auf ihm ruhten alle Hoffnungen seiner Anhänger. Wenn er nicht mehr wäre, würden Gesetzlosigkeit und Bürgerkrieg Tür und Tor geöffnet sein. Schon jetzt rumorte es zwischen den verschiedenen Lagern. Viele der mächtigen Kurfürsten, allen voran der Erzbischof von Köln, Konrad von Hochstaden, waren nicht einverstanden, dass Kaiser Friedrich II. ihnen einfach seinen Sohn als König vorgesetzt hatte. Die Fürsten warteten nur darauf, dass sich eine Gelegenheit ergeben würde, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Also musste sich Konrad IV., so jung und unerfahren er war und wie unsicher seine Stellung auch sein mochte, beim Volk sehen lassen und Stärke zeigen. Dabei war seine Hausmacht schwach und seine Gegner zahlreich. Einer der wenigen Fürsten, der loyal an seiner Seite stand, war Graf Georg von Landskron. Ihm einen Besuch abzustatten, galt als Freundschaftsbeweis und Machtdemonstration zugleich.
Anna und Aaron hatten sich einen guten Standort an der etwas erhöhten Seite des Marktplatzes ergattert, ein paar Straßen hinter dem Gautor, durch die der königliche Tross ziehen sollte. Hier drängten sich noch mehr Menschen als draußen vor den Stadtmauern. Die Gassen der Stadt waren eng, die mehrgeschossigen Steinhäuser mit ihrem Fachwerk standen dicht an dicht. Überall hatten sich die stolzen Bürger von Oppenheim fein gemacht und zeigten ihren Reichtum in den schönsten Farben. Die Männer waren in Wämser und Beinkleider aus bestem Tuch geschlüpft, viele trugen feine Kalbslederstiefel, einige hatten sich sogar Umhänge übergeworfen, und auf den Köpfen saßen Hüte mit schmückenden Federn. Die Frauen von Stand trugen spitz zulaufende Schuhe und lange, vielfarbige Tuniken mit aufwändigen Stickereien.
Der knöcheltiefe Schmutz auf den Straßen war von Knechten weggeräumt worden, es stank nicht wie sonst nach Unrat und Abfällen, überall hatte man Stroh ausgelegt, und jetzt liefen sogar kleine Mädchen mit Körben umher und streuten Blumen aus.
Plötzlich ertönten Fanfaren. Georg von Landskron kam von seiner stattlichen Burg über der Stadt geritten, um seinen König zu empfangen. Alle Köpfe schwenkten in Richtung des Fanfarenstoßes, und auf der Straße, die von der Burg herabführte, tauchten zehn gräfliche Fanfarenbläser in den rot-goldenen Uniformen derer von Landskron auf. Am Marktplatz bildeten sie ein großes Spalier als Barriere gegen die Menschenmenge.
In diesem Moment öffneten sich die schweren Eichentüren des prächtigen Rathauses, und zwei Dutzend festlich gekleideter Herren schritten heraus und stellten sich erwartungsvoll in Reih und Glied auf.
»Was für ein Aufwand«, staunte Anna, die neben Aaron stand. »Wer ist das?«
»Das ist das Empfangskomitee von Oppenheim, die Ratsherren und Zunftmeister«, antwortete der Medicus. »Zwei oder drei davon müsstest du kennen, sie waren bei uns schon in Behandlung.«
Anna reckte den Hals in alle Richtungen, um besser sehen zu können. Aaron hatte recht, jetzt erahnte sie die eine oder andere Gestalt, aber in ihren farbenprächtigen Roben, den mehrgliedrigen Schulterketten, verziert mit Medaillen, Wappenbildern und Emblemen aus Gold oder Silber, und den mit Federn geschmückten Hüten, die das halbe Gesicht verdeckten, waren sie schwer wiederzuerkennen.
Eine seltsame Spannung lag jetzt auf einmal in der Luft, das Stimmengewirr hatte merklich nachgelassen, als würden alle Menschen gleichsam
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