Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
den Atem anhalten.
In die Stille hinein ertönte Hufgeklapper. Zwei Reiter näherten sich von der Burg her. Schließlich erreichten sie den Marktplatz und zügelten ihre Pferde vor den Reihen der Honoratioren, die sich verneigten. Die Reiter grüßten zurück. Der ältere der beiden war Graf Georg von Landskron, ein stattlicher Mann in seinen besten Jahren. Neben ihm, auf einem Rappen mit einer weißen Blesse über den Nüstern, ritt ein blutjunger Adliger mit langen, glatten schwarzen Haaren, dessen Augen vor Lebenslust nur so blitzten. Er war ganz in Blau gekleidet und trug schwarze Stiefel. Nur sein Umhang, der schneidig im Wind mit seinen Haaren um die Wette flatterte, war rot und mit Gold gesäumt und trug weithin sichtbar ein Wappen, eine schwarze Greifvogelklaue auf goldenem Grund.
Anna konnte es nicht glauben – es war der Mann aus ihrem Traum! Der junge Ritter, der ihr immer die blaue Blume bringen wollte, die alles Leid der Welt heilen konnte. Jetzt endlich sah sie sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem leichten Bartschatten, das ernst und doch energisch die bunte und schillernde Szenerie in Augenschein nahm. Anna war bei seinem Anblick förmlich zusammengezuckt, was Aaron nicht verborgen geblieben war.
»Was ist?«, fragte er sie.
»N … nichts«, konnte sie gerade noch stottern, bevor sie sich innerlich selber schalt. Wie konnte sie nur so naiv sein und wie ein kleines Mädchen glauben, dass ein Traum wahr werden würde! Da geradewegs vor ihr saß nur ein Herr auf seinem hohen Ross, den sicherlich alle unverheirateten jungen Frauen auf dem Marktplatz anhimmelten, weil er wunderschön war und gekleidet wie ein Prinz und sich auch so benahm. Jetzt wagte sie es aber doch, Aaron zu fragen: »Wer ist das neben dem Grafen?«
»Das muss ein Verwandter des Grafen sein. Ich sehe ihn auch zum ersten Mal.«
Ein Mann, der hinter Aaron stand und seiner Kleidung nach zu den besseren Bürgern der Stadt gehörte, sagte leise: »Das ist Chassim von Greifenklau, der Schwager des Grafen. Er hat schon mehrere Turniere gewonnen.«
Anna nickte dem Mann, dankbar für seine Auskunft, zu. Chassim – dann hatte ihr Traum von nun an wenigstens einen Namen. Aber viel Zeit, darüber nachzudenken, hatte sie nicht. Es folgte ein neuer Fanfarenstoß, der die nervösen Pferde tänzeln ließ.
»Warum ist die Frau des Grafen nicht dabei?«, wollte die neugierige Anna von Aaron wissen.
Aaron sagte es ihr, aber so leise, dass es außer ihr niemand verstehen konnte: »Sie ist guter Hoffnung. Ich bin ihr Medicus, aber das sollte besser niemand wissen. Ich habe ihr jede Anstrengung untersagt, sie hatte schon mehrere Fehlgeburten. Vielleicht wirst du sie bald kennenlernen. Ich suche sie regelmäßig auf.«
Ein dritter Fanfarenstoß erklang. Und jetzt endlich erfolgte der große Einzug des königlichen Trosses. Anna wagte sich einen Schritt weiter vor, um nur ja nichts von dem Spektakel zu versäumen. Oder tat sie es, um diesen blaugekleideten Edelmann auf seinem Rappen besser sehen zu können, der sein Pferd jetzt geschickt mit den Fersen rückwärts dirigierte, bis er ganz in der Nähe von Anna zu stehen kam? Er drehte sich um, um sicherzugehen, dass er noch genügend Abstand zur Zuschauermenge hatte, und in diesem kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Es war nur ein herzschlaglanger Augenblick, aber Anna stockte der Atem. Ja, er war der Ritter aus ihrem Traum, sie sah seine Gesichtszüge jetzt ganz deutlich vor sich. Dass er es sein musste, sagte ihr Herz. Er hatte ein ebenmäßiges, glatt rasiertes Antlitz, und ihr schien es, als lächelte er ihr kurz zu, bevor er sich wieder wegdrehte.
Anna seufzte. Dieser Chassim von Greifenklau, der wahrscheinlich längst einer Jungfrau, seinem Stand und Rang angemessen, versprochen war, würde sich ganz bestimmt nicht für ein schmächtiges, schüchternes, spindeldürres Mädchen in einer dunklen Tunika interessieren, das den Kopf unter einer Kapuze versteckte, weil seine Haare immer noch so aussahen, als habe es sich vor kurzem den Schädel rasieren müssen, um die Kopfläuse loszuwerden.
Sie schlug die Augen nieder und schämte sich. Dafür, dass sie so unscheinbar aussah und dass sie so hoffärtig und eitel war, weil sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte als so schöne, lange Haare, wie sie bei den feinen adligen Damen Mode waren, auch wenn sie sie meist unter geschlungenen Kinntüchern oder Hauben versteckten.
Oder schämte sie sich für den
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