Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
spazieren, obwohl sie Lepra hatte, in einem anderen Leben ein Junge und vor seinen Augen ertrunken war? Da musste einfach Hexerei mit im Spiel sein!
Gero fröstelte, wenn er an die Zauberkraft einer Hexe dachte, gegen die es keine Mittel gab, und ärgerte sich gleichzeitig über seine unritterliche Furcht – eigentlich hatte er vorgehabt, Anna Ahrweiler bis zu ihrem Heim zu verfolgen, zu warten, bis es dunkel wurde, irgendwie in das Haus zu gelangen und dann eigenhändig zu überprüfen, ob diese Medica nun Männlein oder Weiblein war. Im zweiten Fall wäre es ihm eine unendliche Genugtuung gewesen, ihr beizubringen, was es bedeutete, von einem richtigen Mann genommen zu werden. Schon beim bloßen Gedanken daran juckte es ihn in der Hose, und er wäre am liebsten gleich über sie hergefallen. Aber je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass sein Onkel ein solches Vorgehen niemals gutheißen würde. Nein, es wäre sogar ausgesprochen dumm, wenn er so handeln würde. Er musste erst so viel wie möglich über diese Medica herausbekommen und dann seinem Onkel Bericht erstatten.
Gero ahnte, dass der Erzbischof Pater Urban und Bruder Marian aus dem Spiel genommen hatte wie unbedeutende Schachfiguren. Sie hatten ihm im Weg gestanden, und wenn einer von ihnen überlebt hatte und über Wissen verfügte, das seinem Onkel gefährlich werden konnte, dann musste der Erzbischof davon erfahren, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Gero brauchte diese Medica lebend. Wenn er sie jetzt vergewaltigte und umbrachte, was ihm zwar kurzzeitige Befriedigung verschafft hätte, gab es keine Möglichkeit mehr, herauszufinden, was sie wusste oder welche Beweise sie versteckt haben könnte.
Die Medica ging durch das Gautor wieder aus der Stadt hinaus und schlug den Weg ein, der an der Stadtmauer in Richtung Südwesten führte. Es waren viele Leute unterwegs, so dass es nach wie vor nicht auffiel, wie Gero ihr folgte. Dass sie ihn erkennen würde, wenn sie ihn sah, bezweifelte er nicht, obwohl er sich einen Vollbart zugelegt hatte. Deshalb achtete er immer noch sorgfältig auf genügend Abstand. Die Medica überquerte eine Brücke aus Holzbohlen, die den Bach an der Stadtmauer überspannte, und ging durch einen Torbogen auf ein großes, zweistöckiges Haus zu.
Gero blieb stehen und sah, wie Anna Ahrweiler in der Scheune verschwand, die direkt an die Stadtmauer grenzte. Das war also das Haus des jüdischen Medicus, der sich bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht hatte. Ganz so, wie es der Burgkaplan beschrieben hatte. Gero wartete noch eine Weile, weil er sichergehen wollte, dass sie nicht mehr herauskam. Dann machte er kehrt. Für heute hatte er genug gesehen. Es wurde Zeit, den Onkel zu benachrichtigen.
IV
K aum hatte Anna den Flügel des Scheunentors hinter sich geschlossen, als ihr auch schon Berbelin mit wehendem Rock und gerötetem Gesicht entgegengeeilt kam. Sie fuchtelte so aufgeregt und hektisch herum, dass Anna, obwohl sie inzwischen mit den wichtigsten Gesten ihrer stummen Magd vertraut war und wusste, was sie bedeuteten, Berbelin beim besten Willen nicht verstehen konnte und sie erst einmal beruhigte.
Dann fing Berbelin noch einmal von vorne an, und Anna schloss aus ihren nun sparsameren Gesten, dass anscheinend ein ungebetener und aufdringlicher Patient schon den ganzen Vormittag auf sie gewartet hatte. Was immer auch Berbelin versuchte, sie konnte ihn einfach nicht loswerden.
Als Berbelin immer wieder mit der Hand eine kreisrunde Bewegung auf ihrem Kopf machte und dazu die Hände faltete und die Augen gen Himmel verdrehte, verstand Anna endlich, dass es sich bei dem Patienten, der sich nicht abweisen ließ, wohl um einen Mönch mit einer Tonsur handeln musste. Einen Mann der Kirche hatte sie, seit sie die Patienten des Medicus übernommen hatte, noch nie behandelt. Sie beschloss, sich nicht länger darüber zu wundern, sondern ihn einfach selbst nach seinem Begehr zu fragen. Berbelin deutete noch an, dass dieser Mönch fleißig ihrem Biervorrat zugesprochen hatte, und ging Anna in die Küche voraus. Aber dort zeigte nur ein leerer Bierhumpen an, dass der Gast verschwunden war.
Da hörten sie Geräusche aus dem Laboratorium, irgendetwas zerschellte klirrend auf dem Fußboden. Die beiden Frauen warfen sich einen beunruhigten Blick zu und stürmten, Anna voran, den Gang entlang zur Tür des Laboratoriums, die sperrangelweit offen stand. Als sie den Raum betraten, sahen sie den breiten
Weitere Kostenlose Bücher