Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
Aktion der alten Dame schwerfiel. »Diese verflixten Gelenkschmerzen«, murmelte sie, als sie um den Tisch herumhumpelte, um Holly in die Arme zu nehmen.
»Das sieht aber gar nicht gut aus«, sagte Holly. Jetzt war es an ihr, ein besorgtes Gesicht zu machen. Sie war so daran gewöhnt, in Jocelyn das starke Schlachtross zu sehen, dass sie beinahe vergessen hatte, dass ihre Freundin über achtzig war.
»Ein paar neue Hüften würden schon reichen«, lächelte Jocelyn. »Ich kann mich noch erinnern, wie ich zwei- oder dreimal täglich die Strecke von hier bis in den Ort gelaufen bin. Jetzt bin ich schon fix und fertig, wenn ich einmal quer durchs Zimmer gehe.«
»Warum hast du nichts gesagt? Das Auto steht vor dem Haus. Ich hätte dich doch abholen können.«
»Ich bin nicht alt auf die Welt gekommen, so schnell gebe ich nicht auf. Wenn ich nicht mehr allein von A nach B komme, dann ist es aus mit mir.«
»Also, du setzt dich jetzt brav wieder hin, und ich hole Teller für den Kuchen.«
Jocelyn ließ sich seufzend auf ihren Stuhl fallen. »Wann klärt sich das mit Tom?«
»Dienstag in einer Woche ist er wieder zurück, dann haben sie ihn ins Studio bestellt. Er weiß noch nicht, um was es geht, aber ihm schwant nichts Gutes. Auch wenn er seinen Job behält, werden sie ihm vermutlich alles Mögliche aufs Auge drücken.«
Jetzt ließ sich Holly seufzend auf ihren Stuhl fallen, aber ihr Seufzen klang verdächtig nach Enttäuschung.
»Er scheint ein heller Kopf zu sein. Was ich im Fernsehen von ihm gesehen habe, finde ich großartig. Ich könnte mir denken, dass man sich um ihn reißt. Ich würde ihn sofort einstellen«, zwinkerte Jocelyn ihr zu.
»Das sieht dir ähnlich«, lachte Holly. »Vor der Kamera wirkt er locker, aber in Wirklichkeit hasst er es. Er gehört lieber zum Fußvolk und überlässt anderen die Lorbeeren vor der Kamera. Aber es ist nicht nur die Sorge um seinen Arbeitsplatz, die mich beunruhigt«, gestand Holly.
»Willst du darüber sprechen?«
»Wir hatten uns gerade entschlossen, eine Familie zu gründen. Du weißt ja nicht, was ich für Probleme damit habe, und jetzt, wo ich dachte, ich bin so weit, scheint sich alles gegen mich verschworen zu haben. Allmählich glaube ich, dass es einfach nicht sein soll.« Holly war überrascht, wie offen sie mit Jocelyn darüber sprechen konnte, obwohl sie sie erst seit knapp zwei Monaten kannte. Es gab nur wenige Menschen in Hollys Leben, mit denen ein solches Gespräch überhaupt möglich gewesen wäre, und Jocelyn schien eine Lücke zu füllen, die seit Hollys Kindheit bestand.
»Du hast noch so viel Zeit. Eines Tages wirst du Mutter werden, sicher eine sehr gute Mutter, so was habe ich im Gefühl, und auf mein Gefühl ist Verlass, glaub mir.«
»Hättest du nicht noch mehr Kinder haben wollen?«, erkundigte Holly sich arglos. Sie hätte zu gerne noch mehr über Jocelyns Vergangenheit gewusst.
Jocelyn musterte Holly nachdenklich. »Ich habe spät geheiratet und spät mein Kind bekommen. Ich war einundvierzig, als Paul zur Welt kam, aber auch wenn ich jünger gewesen wäre, wäre ein weiteres Kind unklug gewesen. Mein Mann war nicht so ein Glücksfall wie dein Tom. Harry war ein Tyrann, nach Pauls Geburt wurde es noch schlimmer. Ich glaube, er war tatsächlich eifersüchtig
darauf, wie liebevoll ich mit Paul umging, und führte sich noch schlimmer auf als vorher.«
»Von Mutterfreuden konnte also nicht die Rede sein, oder?«
»Oh nein, ganz im Gegenteil.« Jocelyn schüttelte den Kopf. »Paul war das Beste, was mir passieren konnte. Harry hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Er hat den Kontakt zu meinen Freunden und meiner Familie vergiftet und mich regelrecht fertiggemacht. Wenn Paul nicht gewesen wäre, hätte alles ein noch schlimmeres Ende genommen.«
»Wie meinst du das?«
Jocelyn sah an Holly vorbei in den Garten. Ein ängstlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, als könnte der Geist ihres Ehemanns am Fenster auftauchen. »Paul hat mir das Leben gerettet. Ich meine damit, dass ich Harry schließlich um Pauls willen verlassen habe. Ich wollte meinen Sohn vor seinem Vater beschützen. Für mich hätte ich nicht den Mut dazu gehabt, aber für meinen Sohn hatte ich ihn. Für diese Erkenntnis musste ich aber ein bitteres Lehrgeld bezahlen.« Jocelyns Stimme erstarb zu einem Flüstern, und die Altersfältchen in ihren Augenwinkeln zeichneten sich schärfer ab. Trotz der warmen Sonne, die durchs Fenster flutete, zitterte sie am ganzen
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