Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
noch wahnsinnig. Darüber sprechen darf ich allerdings auch nicht, weil dann alles wahr wird, und ich will nicht, dass es wahr wird«, sagte sie und kämpfte gegen die Tränen an.
»Was ist denn, Kindchen? Du kannst nicht alles in dich hineinfressen. Ich höre einfach nur zu, versprochen.«
Holly hielt die Luft an, um das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Sie sah Jocelyn in die Augen, deren unbeirrte Miene sie ermutigte, das Unaussprechliche auszusprechen. »Ich werde sterben«, flüsterte sie. »Ich werde sterben, aber ich will nicht sterben. Ich will Tom nicht mit diesem Chaos allein lassen. Ich will nicht, dass Libby keine Mutter hat.«
Als sie schließlich Luft holte, merkte sie, dass Jocelyn erstarrt war. Jocelyn trat einen Schritt zurück und sah ihr in die Augen.
»Woher willst du das wissen?«, fragte sie zögernd.
»Ich habe es gesehen. Ich weiß nicht, was …«, hickste Holly, als habe sie plötzlich einen Schluckauf, »… was passiert ist, aber es hat irgendwas mit der Monduhr zu tun. Sie ist überhaupt nicht kaputt. Sie funktioniert, und ich glaube, sie hat mir meine Zukunft gezeigt. Ich werde im nächsten Jahr am 29. September bei der Geburt meines Kindes sterben.«
»Du brauchst ein Glas Wasser gegen den Schluckauf« sagte Jocelyn, ließ Holly los und ging zur Spüle.
»Hast du mich gehört? Entweder bin ich total verrückt geworden oder die Monduhr hat mich in die Zukunft befördert und mir gezeigt, dass ich sterben werde«, flüsterte Holly, die Angst hatte, sich gerade lächerlich gemacht zu
haben. Natürlich würde Jocelyn denken, dass sie den Verstand verloren hatte, was sonst?
Jocelyns Hand zitterte, als sie Holly ein großes Glas mit kaltem Wasser hinhielt, was Holly vor Aufregung nicht bemerkte. Statt zu trinken, legte Holly das kühle Glas an die Stirn. Sie wollte Jocelyn nicht in die Augen sehen.
»Würde es dir helfen, wenn ich dir sage, dass ich auch gestorben bin?«
Holly wäre beinahe das Glas aus der Hand gerutscht, aber sie konnte es gerade noch festhalten und den Tisch vor dem nächsten Unglück bewahren. Vorsichtshalber setzte sie sich hin, für den Fall, dass ihre Beine nachgeben sollten. »Wie meinst du das?«, stammelte sie, aber der Hoffnungsfunke glimmte schon.
»Mich hat die Uhr damals auch neugierig gemacht, Holly.« Jocelyn setzte sich neben sie und nahm ihre Hände. »Es tut mir leid. Verzeih mir. Ich hätte etwas sagen sollen, als ich sah, dass ihr die Uhr wieder aufgestellt habt, aber ich hatte gehofft, dass ihr nicht wisst, wie man sie in Gang setzt, und es auch nicht versucht.«
»Du hast deinen eigenen Tod vorausgesehen und ihn verhindert?« Holly klammerte sich an Jocelyns Hand und an den Funken Hoffnung, der in ihr aufloderte. Vielleicht war sie ja gar nicht verrückt geworden; vielleicht war es ein Rätsel, das sich lösen ließ. Denn Jocelyn hatte nicht nur bestätigt, dass die Monduhr tatsächlich in der Lage war, in die Zukunft zu sehen – sondern auch, dass sich am Gang der Dinge etwas ändern ließ.
Als Jocelyn nickte, hatte Holly das erste Mal seit Tagen das Gefühl, wieder Boden unter den Füßen zu haben.
»Wie hast du das gemacht? Bitte, ich muss es wissen.« Sie biss sich auf die Lippen und wartete auf Jocelyns Erklärung.
Jocelyn ließ Hollys Hand los und sank in ihrem Stuhl zusammen. Sie schwieg so ausdauernd, dass Holly schon dachte, sie würde überhaupt nichts sagen, aber dann begann sie, mit kaum hörbarer, zitternder Stimme zu erzählen.
»Ich habe dir ja schon von Harry erzählt, wie er war und warum ich ihn verlassen habe. Nun, das ist nur die halbe Wahrheit. Harry war schlimm genug, aber nur durch die Monduhr habe ich erfahren, dass es noch schlimmer kommen würde, viel schlimmer.« Jocelyn hatte den Kopf gesenkt und musterte ihre Hände, als die Erinnerungen an die Zeit im Pförtnerhaus wieder wach wurden. »Aus diesem Grund habe ich ihn verlassen, verstehst du? Um das Unglück zu verhindern, das uns drohte.«
Gebannt beobachtete Holly, wie Jocelyn den Kopf hob und aus dem Küchenfenster blickte. Trotz des Hochsommers war es draußen kühl und trübe. Von ihrem Platz aus konnte Jocelyn die Monduhr nicht sehen, aber der bloße Gedanke daran schien sie zu bedrücken.
»Es ist schon so lange her, und ich habe mir seitdem immer eingeredet, dass es nur ein schrecklicher, wirrer Traum war« sagte Jocelyn. »Es war so viel einfacher, als mit der Schuld zu leben.« Jocelyn warf Holly ein scheues Lächeln zu, bevor sie wieder aus dem
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