Das Geheimnis der Perle
hatte, auf und steckte es in den Mund.
Und dann begann sie, den Baum hinaufzuklettern.
Mei vergaß zu atmen. Der Anblick dieser nackten Frau, die den Baum hochkletterte, vielleicht die Köstliche Perle im Mund, war das Verrückteste, was sie je in ihrem Leben gesehen hatte.
Es dauerte einen Augenblick, bis Mei merkte, was Viola vorhatte. Ganz oben zwischen den Zweigen befand sich ein tellergroßes Nest. Und Viola streckte den Arm aus, um es zu erreichen.
Mei konnte nicht klar ausmachen, was die Ältere genau tat, aber sie vermutete, dass Viola das, was sie im Mund hatte, ins Nest legte. Dann machte sie sich an den Abstieg.
Mei konnte nicht sofort zu dem Baum zurückgehen, um das Nest zu durchsuchen. Denn Viola warf sich den Rest der Nacht ruhelos hin und her, sodass Mei kein Risiko eingehen wollte. Dann wurde sie krank, und Mei vermutete, dass ihr der nächtliche Ausflug zugesetzt hatte. So blieb ihr keine Zeit, das Nest zu durchsuchen.
Als dann irgendwann ein wütender Sturm losbrach mitsintflutartigen Regenfällen, sah Mei das Nest schon davonschwimmen, hinein in den Victoria River. Würde es bis zum Meer davongetragen werden, sodass die Köstliche Perle dahin zurückkehren würde, wo sie gefunden worden war?
Schließlich kam Archer wieder nach Hause, und drei Tage später Bryce. Sie wartete darauf, dass er zum Haus kommen würde. Sie hatte sich die Haare gewaschen und ein frisches Kleid angezogen, ehe sie ihre Haare schnell mit einem hellblauen Band zusammenfasste. Sie wusste, was sie im Spiegel sehen würde. Klare Gesichtszüge, halb chinesisch, halb europäisch, und einen schlanken, fast knabenhaften Körper.
Aber was sah Bryce, wenn er sie anschaute?
Was auch immer es sein mochte, es gefiel ihm. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, als er sie im Salon fand. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und sah sie lange an. „Dein Haar sieht wunderschön aus so.“
Röte stieg in ihre Wangen. „Deine Mutter war krank. Du solltest jetzt zu ihr gehen.“
„Geht es ihr besser?“
„Ja, viel besser.“
Er lächelte immer noch, nahm jedoch die Hände von ihren Schultern. „Wo ist denn mein Vater?“
„Er hat mir nicht gesagt, was er vorhat.“
„Gehst du später mit mir spazieren?“
Sie dachte an die Perle, die versteckt im Nest lag. Bryce war sicher müde von der Arbeit. Viola würde schlafen, und wenn Archer nicht nach Hause kam, könnte sie das Nest vielleicht durchsuchen.
„Ein kleiner Spaziergang vielleicht“, sagte sie. „Aber danach musst du dich ausruhen. Sonst wirst du auch noch krank.“
„Keine Sorge. Mich haut so schnell nichts um.“ Er berührte ihr Haar, das ihr über die Schulter fiel. „Außer nicht mit dir zusammen zu sein.“
Archer kam eine Stunde später. Er ging sofort in sein Zimmer, das neben dem seines Sohnes lag. Bryce würde sich also nicht davonstehlen können. Wenn sie bis Mitternacht wartete, könnte sie sich hinausschleichen und zu dem Baum mit dem Nest gehen.
Mei hatte sich genau überlegt, was sie danach tun würde. Wenn Bluey nach der Regenzeit kam, würde sie die Perle nehmen und mit ihm zurück nach Darwin fahren. Dort würde sie sich Arbeit suchen und so lange sparen, bis sie die Überfahrt nach Kalifornien bezahlen könnte. Dann wären Thomas und sie endlich wieder vereint.
Und Bryce würde in Jimiramira bleiben, bei seinen zutiefst zerstrittenen Eltern, während seine Träume von einer besseren Zukunft sich in Luft auflösten.
Ihr wurde das Herz schwer. Sie mochte sich zwar einreden, er hätte sich nur deshalb in sie verliebt, weil er eine Frau brauchte und sie gerade zur Stelle war. Aber das erklärte nicht ihre Sehnsucht, die sie empfand. Von Anfang an hatte sie gespürt, dass er ihr sein Herz öffnete. Und sie hatte gesehen, dass es von Traurigkeit erfüllt war.
Sie sah in ihm nicht den Sohn ihres Feindes. Für sie war er ein Mann, der es wert war, geliebt zu werden.
Es schien ihr wie eine Ewigkeit, bis es endlich still war im Haus und sie sich in der dunklen Nacht davonschleichen konnte. Es war bewölkt, sodass sie sich nur schwer zurechtfand. Nachdem sie den Baum gefunden hatte, kletterte sie hoch, so wie sie es bei Viola gesehen hatte.
Als sie endlich ihr Ziel erreicht hatte, war ihr Kleid feucht vom Schweiß. Die Höhe machte sie schwindlig, sodass sie einen Moment die Augen schloss, während sie sich festhielt.
Vorsichtig tastete sie sich dann an dem dicken Ast entlang und spähte durch die Blätter des Gummibaums. Sie musste sich weit
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