Das Geheimnis der Perle
hergerissen. Auf der einen Seite war es ihr eine Genugtuung, dass Archer von Schuldgefühlen gequält wurde, doch Bryce gegenüber empfand sie Mitleid. Er war von zwei selbstsüchtigen Menschen umgeben, und sie fragte sich, wie er zu dem Mann geworden war, den sie vor sich sah.
„Lass uns spazieren gehen.“ Mei legte ihre Hand auf seinen Arm. „Außer du glaubst, dass er dich braucht …“
„Er hat bald einen Punkt erreicht, an dem er gar nichts mehr mitbekommt.“
„Wir gehen nicht weit“, versprach Bryce. „Aber es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte.“ Sie gingen an Büschen und Bäumen vorbei. Mei wusste, dass sie sich nicht allzu weit hinauswagen konnten; die Schlangen wurden in der Dunkelheit aktiv.
„Du kannst mir vertrauen“, sagte Bryce. „Ich kenne mich hier aus.“
Als Mei über einen umgefallenen Baumstamm stolperte, griff Bryce nach ihrem Arm und zog ihn unter seinen. „So kann dir nichts passieren.“
Ihr helles Lachen überraschte beide. Sie wusste, dass ein Mann mehr im Sinn hatte als den Schutz der Frau, wenn er ihren Arm nahm. „Wo genau gehen wir denn hin?“
„Nur noch ein kleines Stück.“
„Dein Vater wäre nicht begeistert.“
Bryce zog ihre Hand in seine. „Er ist kein glücklicher Mensch. Wahrscheinlich war er das nie.“
„Und sein Sohn?“
„Ich habe alles.“ Er warf ihr einen Blick zu und grinste. „Außer einer Frau, mit der ich eine Familie gründen kann. Ich würde ein besserer Vater sein als meiner. Ich kann nämlich ein Lied davon singen, was Kinder brauchen.“
Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Trotz der Gefühle, die sie in seiner Nähe verspürte, hatte sie sich untersagt, auf diese Weise an Bryce zu denken. Doch jetzt stellte sie sich vor, mit ihm verheiratet zu sein und hier mit ihm zusammenzuleben. Würde sie damit ihre Eltern verraten? Oder könnten sie Frieden finden, wenn die Perle gleichzeitig den beiden Familien gehören würde, die sie für sich beanspruchten?
Als sie zu einem weiteren Dickicht kamen, blieb Bryce schließlich stehen. „Jetzt sag mir, was du siehst“, forderte er sie auf.
Mei kniff die Augen ein wenig zusammen und versuchte, in der Dunkelheit etwas auszumachen. Das Einzige, was sie sehen konnte, war eine seltsame Konstruktion zwischen zwei Bäumen. Es war einige Fuß lang und genauso breit und aus Zweigen erbaut. „Was ist das? Ein Unterstand für Tiere?“
„Nicht ganz. Kennst du den Laubenvogel?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Du kannst ihn bei uns am Haus singen hören. Ein großer gefleckter Kerl mit ein paar bunten Federn am Nacken.“ „Ist das hier sein Nest?“
„Noch besser. Hierhin lädt er seine Gefährtinnen ein.“ Mei kicherte. „Und leben sie dann hier zusammen und ziehen ihre kleinen Vögel auf?“
„Ich glaube, das Weibchen baut sich dann ein eigenes Nest und zieht seine Brut dort auf.“
Sie entzog ihm den Arm und sah ihn an. „Bei den Menschen ist es genauso. Der Mann baut der Frau, die er erwählt hat, ein Haus. Wenn sie dann verheiratet sind, führt er sein Leben weiter, und die Frau bleibt zurück und muss die Kinder großziehen.“ So wie ihre Mutter, die mit den Kindern allein dastand.
„Hier bei uns ist es anders“, erklärte Bryce. „Mann und Frau können sich ein gemeinsames Leben aufbauen.“
„Aber deine Eltern haben es nicht geschafft.“
Bryce nickte. „Das Land hier ist rau. Es hat Mum zerstört und meinen Vater verbittert. Hätten sie zusammengehalten, wäre alles anders gekommen, da bin ich mir sicher.“
Sie lehnte sich an ihn, als könnte sie ihn so ermuntern, fortzufahren.
„Irgendetwas stand von Anfang an zwischen ihnen“, sagte er schließlich, als sei es ihm wichtiger, seine Gefühle mit ihr zu teilen, als Vorsicht walten zu lassen. „Ich habe einen Großvater in Broome. Er hat meiner Mutter bei ihrer Hochzeit etwas Wertvolles gegeben. Mein Vater wollte es unbedingt für sich haben und verkaufen, um ihnen das Leben zu erleichtern. Er wollte mehr Rinder kaufen und mehr Arbeiter einstellen, aber meine Mutter hat es nicht erlaubt. Sie wollte dieses Geschenk behalten. Zuerst war es für sie eine Sicherheit, falls hier irgendetwas schiefgeht. Also versteckte sie es.“
„Und dein Vater konnte es sich nicht nehmen und allein verkaufen? Ohne ihr Einverständnis?“
Bryce widersprach nicht. Offenbar hatte sein Vater dieseMöglichkeit durchaus in Erwägung gezogen. „Es ist etwas Kleines, das sie leicht verstecken kann. Ich habe es zufällig
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