Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Geiste die Notiz, ihren Vater gleich in ihrem ersten Brief darauf hinzuweisen - er war eigentlich verpflichtet, den Weg so breit zu halten, dass ein Reiter mit einem über den Sattel quergelegten Spieß ihn passieren konnte. Herr Leon würde fluchen, wenn er später mit dem Wagen hindurchmusste. Zudem war ein Bach, der quer über den Weg führte, durch den Regen reißend geworden. Gerlin saß einen Sprung ihrer Stute anmutig aus - und kam gleich auf das Thema Dietrich zurück, als die Gruppe sich wieder formiert hatte.
»Was ist nun, Herr Florís? Warum befindet Ihr meinen künftigen Gatten noch nicht als würdig, den Ritterschlag zu empfangen?«
Florís biss sich auf die Lippen. »Es geht hier weniger um mich, Herrin. Ich würde den Tag für die Feier morgen ansetzen. Aber es ist ein Problem des Rangs. Herr Roland ist von weit höherer Geburt als ich, ein Ornemünder aus der Thüringer Linie - wenn auch nur ein jüngerer Sohn. Im Grunde ist er ein Fahrender, der die Chance nutzt, sich auf einer warmen Burg festzusetzen. Aber er ist ein Verwandter des Herrn Dietrich, und somit gebührt ihm die Ehre, ihn zum Ritter zu schlagen. Leider zögert er es immer wieder hinaus.«
»Mit gewichtigen oder unter fadenscheinigen Gründen?«, erkundigte sich Gerlin.
Florís rieb sich die Stirn. »Fräulein Gerlin, es geziemt sich nicht für einen Ritter, über die Herren der Burg zu klatschen, in der er dient. Erst recht nicht über die Witwe eines Ritters, dem ich treu ergeben war. Bitte zwingt mich nicht dazu. Ihr werdet selbst sehen, wie es steht zwischen Frau Luitgart, Herrn Roland und Herrn Dietrich - wobei Letzterer, ich erwähnte es schon, völlig ohne Arg ist ...«
Gerlin nickte. Florís hatte im Grunde genug gesagt. Herr Roland und Frau Luitgart, die Stiefmutter ihres künftigen Gatten, waren somit nicht ganz ohne Arg. Und die Art ihres Verhältnisses konnte sie sich auch gut vorstellen. Eine junge Witwe, ein Verwandter des Verstorbenen ... wäre da nicht Dietrich, so läge dem Kaiser sicher bald der Antrag vor, das Lehen Lauenstein dem Herrn Roland zu übertragen. Gerlin fragte sich, welche Stellung sie selbst auf der Burg haben würde, bis es denn endlich zu Dietrichs Schwertleite kam. Aber offensichtlich hielt ja wenigstens die Ritterschaft ihrem jungen Herrn die Treue.
An diesem ersten Tag der Reise gestaltete sich der Ritt beschwerlich. Es regnete beständig, und als die Reisegesellschaft endlich einen Höhenweg Richtung Redwitz erreichte, der lichter und besser überschaubar war als die Waldpfade, trieb ihnen der Wind den Regen ins Gesicht. Die Mittagszeit war schon vorüber, als Florís endlich einen Halt befahl. Sie durchquerten eben ein neu gegründetes Dorf, die Männer rodeten gerade das zweite Gewann und ersetzten die ersten Holzhütten durch feste Bauernhäuser. Das Dorf gehörte noch zum Lehen der Falkenberger, und die meist jungen Leute, die sich hier ansiedelten, hießen ihre Herrschaft freudig willkommen. Peregrin hatte die Neusiedlung besucht, als das erste Gewann im letzten Jahr gerodet worden war, und nun brannten die Bauern darauf, ihre Fortschritte vorzuführen. Gerlin wies Rüdiger an, sich alles zeigen zu lassen, und rief ihn energisch zur Ordnung, als der Knappe dazu wenig Lust zeigte. Sie alle waren nass und durchfroren, aber Rüdiger würde einmal der Herr über diese Menschen sein, er hatte sich ihnen gegenüber huldvoll zu zeigen.
Rüdiger zog schließlich murrend ab, begleitet von dem weitaus diplomatischeren Florís, während sich Gerlin dankend den Bäuerinnen anschloss, die sie in das erste fertiggestellte Haus führten. Während sie sich mit Suppe und Milch bewirten ließ, dachte sie mit ein wenig Sorge an Rüdigers weitere Laufbahn. Der Junge schien weit mehr zum Ritter denn zum Verwalter eines Lehens bestimmt, der kleine Wolfgang war deutlich häuslicher. Manchmal zeigte sich das Schicksal ungerecht, was die Erbfolge anging. Gerlin verdrängte nun aber den Gedanken und bewunderte stattdessen die Webarbeiten der Frauen und die Fortschritte beim Hausbau. Dabei schwankte sie zwischen der Freude, es warm und trocken zu haben, und der Befürchtung, die Hühnerflöhe nicht mehr loszuwerden, die sie sich hier zweifellos einfing. Das Geflügel wuselte eifrig durch die Stube des Hauses, die Bäuerin streute ihnen das Futterkorn einfach auf den Fußboden.
»Draußen holt sie der Fuchs!«, erklärte sie entschuldigend. Gerlin versuchte sich in einem verständnisvollen Lächeln.
Die
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