Das Geheimnis der Puppe
hatte.
»Es wird ein großes Baby. Er meint, es hätte jetzt schon mehr als vier Pfund. Aber ich soll in den nächsten Wochen ein bißchen vorsichtig sein. Nicht mehr schwer heben, auch keine andere körperliche Anstrengung. Meine ständigen Rückenschmerzen gefielen ihm gar nicht.«
Dann gingen wir hinauf. Schon auf der Treppe erkundigte sich Laura:»Hast du wieder Probleme? Du bist so komisch.«
Ich wartete noch, bis sie auf der Couch saß.
»Bert hat angerufen.«
Laura zog nur leicht erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Jetzt sag mir nicht, er ist den Greewalds bereits auf die Pelle gerückt. Vati ist immer sehr flink in dieser Hinsicht.«
Du mußt es ihr schonend beibringen. Wie macht man das? Bert hatte seine Erfahrung damit, ich nicht. Ich starrte nur die Zimmerdecke an, dachte über die Szene nach, die ich zuletzt geschrieben hatte. Der Sturz auf der Kellertreppe. Ein alter Mann liegt hilflos ächzend auf den Stufen. Sandy beugt sich über ihn. Ein fragendes
»Vater.«
Das Gesicht des Mannes verzerrt sich vor Entsetzen, abwehrend hebt er eine Hand. Und Sandys Gesicht zerfließt zu einer breiigen Masse.
»Deine Mutter ist tot.«
»Solch ein Film«, hatte Wolfgang gesagt, »sollte nicht mit Krach-Bumm beginnen.«
Ich konnte nur Krach-Bumm. Ich konnte nur den nackten Horror zeichnen. Bleiche Gesichter und Krallenhände.
»O nein«, sagte Laura und schüttelte den Kopf. Sie starrte mich an. Und ich senkte den Kopf, nickte andeutungsweise.
»Doch! Bert fand sie, als er heimkam. Sie hat sich erhängt.«
»O nein«, flüsterte Laura wieder.
»Sie war ganz normal. Es ging ihr gut. Es ging ihr wirklich gut.«
»Möchtest du selbst einmal mit Bert sprechen.«
Laura schüttelte den Kopf und erhob sich. Als sie das Wohnzimmer verließ, ging ich ihr nach. Sie stieg die Treppe hinunter, bekam kaum die Füße vom Boden, schleppte sich den Gang entlang zu ihrem Zimmer, als trage sie ein Zentnergewicht mit sich herum. Sie setzte sich auf das Bett, strich mit einer Hand über das Kopfkissen. Die Puppe lag immer noch da. Laura nahm sie, knetete den Balg durch, schaute mich an. Aber ihr Blick erreichte mich gar nicht.
»Ich will jetzt nicht reden, Tom«, sagte sie plötzlich.
»Ich will auch nicht weinen oder getröstet werden. Geh rauf und schreib noch ein bißchen. Vielleicht kannst du das irgendwie einbauen. Eine Verrückte, die jahrelang ihre Familie terrorisiert hat und sich dann erhängt, als Happy-End sozusagen.«
Ich stand immer noch bei der Tür, wäre so gerne in das Zimmer hineingegangen, hätte sie in die Arme genommen oder sonst etwas für sie getan. Aber Lauras Blick war wie ein mannshoher Zaun aus Stacheldraht. So drehte ich mich um und ging zur Treppe zurück. Bis um zwei saß ich am Schreibtisch. Saß einfach nur da und horchte. Aber im ganzen Haus war es still. Laura kam nicht, also ging ich hinunter, um nach ihr zu sehen. Auf dem Gang, in der Küche sowie in ihrem Zimmer brannte Licht. Laura lag auf dem Bett, die Arme im Nacken verschränkt, mit offenen Augen zur Decke starrend.
»Willst du hier liegenbleiben.« fragte ich. Laura deutete ein Nicken an. Ich mochte nicht alleine oben sein und blieb ebenfalls im Keller. Nachdem ich das Licht in der Küche und im Gang ausgemacht hatte, legte ich mich neben Laura. Sie zog an einer Schnur, die neben dem Regal an der Wand hing. Augenblicklich war es dunkel.
»Ich verstehe es nicht«, flüsterte sie.
»Sie war doch gestern völlig in Ordnung. Sie hat sogar erzählt, wie sie hier Staub wischen mußte. Hattest du nicht auch das Gefühl, daß sie völlig in Ordnung war, Tom.«
»Doch«, erwiderte ich, »doch, auf mich wirkte sie ruhig und ausgeglichen.«
»Und sie kam freiwillig her«, murmelte Laura.
»Wir haben sie nicht gezwungen. Vati hätte niemals zugelassen, daß sie gezwungen wird.«
»Nein«, sagte ich. Eine unruhige Nacht. Das Bett war zu schmal für uns beide. Wir schliefen nicht, lagen nur da, starrten in die Dunkelheit und schwiegen. Morgens kam Danny in aller Frühe die Treppe hinunter. Noch ehe er das Zimmer betrat, hörte ich ihn schluchzen. Ich hatte ihn ganz vergessen, das fragend erstaunte Gesicht vom Abend.
»Kann sie uns jetzt nie mehr besuchen.«
Danny hatte nicht begriffen, was der Satz letztlich bedeutete:»Deine Oma ist gestorben.«
Aber ein leeres Elternschlafzimmer, das begriff er, und das war wirklich ein kleiner Weltuntergang. Er hatte bereits nach uns gesucht und war ziemlich verstört, aber er beruhigte
Weitere Kostenlose Bücher