Das Geheimnis der Puppe
Kopf, was ich über Sandy und Cheryl geschrieben hatte. Die Frau, die sie immer für ihre Mutter gehalten hatte. Ich registrierte zwar aus den Augenwinkeln, daß Brigitte Greewald mich immer noch so entsetzt anstarrte, aber es war mit einem Mal absolut nebensächlich. Laura!
»Hier steht,. November«, hatte der Standesbeamte gesagt. Vier Jahre! Bei einem Kind waren vier Jahre Altersunterschied eine Menge. Eine Menge an Größe und Gewicht. Aber bei einer Erwachsenen? Brigitte Greewald bemerkte sehr wohl, daß ich nicht mehr bei der Sache war. Sie stemmte sich aus dem Sessel, stand noch einen Augenblick reglos da und erklärte dann in unsicherem Ton:»Ich muß jetzt wirklich gehen.«
Laura erhob sich ebenfalls. Und während Brigitte Greewald zur Haustür hinausging, ging Laura in den Keller. Am nächsten Tag begann sie mit ihrem Hausputz. Es war entsetzlich, und ich konnte nichts tun, überhaupt nichts. Sie putzte sämtliche Fenster, saugte Teppiche und Gardinen. Wenigstens war sie noch so vernünftig, die nicht auch noch zu waschen. Tagelang hörte ich sie treppauf, treppab gehen, sah sie Putzeimer und Staubsauger schleppen, ständig hatte sie irgendeinen Lappen in der Hand. Ich war ganz lahm. Nur der Kopf und die Finger blieben geschmeidig, produzierten eine Szene nach der anderen. Beschrieben das Elend, die Verzweiflung und die Hilflosigkeit einer jungen Frau, die ihr eigenes Ich suchte, in einer Weise, die ich vorher nie zustande gebracht hatte. Am späten Abend lief Laura oft zu den Greewalds hinüber. Wenn sie zurückkam, verkroch sie sich in ihrem Zimmer. In der Woche nach Mariannes Beerdigung schlief sie nicht eine Nacht in unserem Schlafzimmer. Es mag herzlos klingen, aber ich nutzte selbst diese Zeit, saß oft um zwei in der Nacht noch am Schreibtisch. Es war keine Flucht in die Arbeit. Es war eher so, daß mich unsere Situation in die Lage versetzte, ein anderes Gefühl für die Figuren des Drehbuches zu entwickeln. Sandy und der junge Journalist entfernten sich ebenso voneinander, wie Laura und ich uns voneinander entfernten. Sandy litt wie Laura um ihre merkwürdige Kindheit. Und ihr Partner stand hilflos daneben, war zum Zuschauen verdammt und überbrückte die Ohnmacht, indem er sich auf die Suche nach Erklärungen machte. Darüber kam ich auf den Gedanken, das gesamte Drehbuch aus der Sicht eines Ich-Erzählers zu schreiben. Als ich die ersten Szenen an Wolfgang schickte, kam tags darauf gleich ein begeisterter Anruf.
»Das ist es, Tom. Ich wußte, daß du die Sache in den Griff bekommst. Es ist phantastisch.«
Es war eher grauenhaft. Drei bis vier Stunden Schlaf jede Nacht. Und jeden Tag die drängende Gewißheit, daß ich mit Bert reden mußte. Er mußte schließlich wissen, wer Laura war. Aber ich war so wütend auf ihn, manchmal sogar voller Haß, daß ich das Gespräch vor mir herschob. Freitags fuhr Laura nach Bedburg, um Einkäufe zu machen. Ich nutzte die Zeit ihrer Abwesenheit, um nach Steiners Tagebuch zu suchen. Inzwischen waren sämtliche, ursprünglich abgeschlossenen Fächer des Sekretärs aufgebrochen. Laura hatte darin ihre Fundstücke nach einem gewissen System geordnet. Das Fotoalbum, einen Packen alter Rechnungen. In einem Fach lag die Haarspange. Wahrscheinlich war es sogar ihre. Beweisstücke, aber das Tagebuch fand ich nicht. Und bevor ich das ganze Zimmer danach absuchen konnte, kam Laura zurück. Neben den Lebensmitteln für die nächste Woche hatte sie für das Kind eingekauft. Ein helles, luftiges Kleidchen, weiße Söckchen, Unterwäsche und ein Paar schwarze Sandalen aus Lackleder. Sie breitete die Sachen auf dem Bett aus, ein wenig besorgt, ob auch alles die richtige Größe hatte. Eine geschlagene Viertelstunde lang erklärte Laura, warum sie sich für Sandalen und nicht für feste Schuhe entschieden hatte. Seit der Nacht, in der es zu Laura gekommen war, hatten wir das Kind nicht mehr gesehen, auch mittwochs nicht. Jeden Abend öffnete Laura die Küchentür, sperrte das Fenster ihres Zimmers weit auf. Sie war besessen von dem Gedanken, etwas für das arme, vernachlässigte Geschöpf zu tun. Schwärmte mir vor, wie es dann hier mit uns leben würde.
»Ich werde mit Vati darüber reden«, sagte sie.
»Vielleicht können wir es adoptieren. Es kümmert sich doch niemand darum. Wir können es zumindest in Pflege nehmen.«
In der Nacht zum Sonntag wurde Lauras Warten endlich von Erfolg gekrönt. Ich bemerkte nichts davon. Danny weckte mich kurz vor neun. Er stand neben
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