Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
bei weitem nicht so gefährlich wie der nach Jerusalem. Du weißt doch, dass Not, Krankheit, Räuberbanden, Piraten und mörderische Muslime zwischen Straßburg und Jerusalem lauern. Ist dir nicht bewusst, dass schon die Reise dorthin eine Prüfung ist, der ich mich unterziehen muss? Du weißt doch, dass Gott sich mir nur offenbart, wenn ich allein, ohne Ablenkung, nur mit dem Gedanken an ihn dem Kreuzweg folge?«
Sie wich seinem Blick aus. »Ja, ich weiß es.«
»Mach es mir nicht schwer! Ich muss nach Jerusalem, wenn ich endlich Antworten finden will auf unsere Fragen, Myriam, lass mich gehen«, bat er sie um ihr Einverständnis. Er hatte sie bei ihrem alten Namen genannt. Das schnitt ihr ins Herz.
Am nächsten Tag stand Maria sehr früh auf. Sie hatte ohnehin keine Ruhe gefunden. Ihr war, als hätte man ihr das Herz bei lebendigem Leib herausgerissen. Pilgerreisen in die Heilige Stadt waren lebensgefährlich. Tödliche Krankheiten, Mord, Raub und Verkauf in die Sklaverei gehörten zu den alltäglichen Risiken, mit denen die Pilger konfrontiert waren. Ganz abgesehen davon, selbst wenn Christian allen Gefahren erfolgreich trotzte, würde sie ein bis zwei Jahre von ihm getrennt sein, ein bis zwei Jahre voll quälender Sorgen, weil sie nicht erfahren würde, wie es ihrem Bruder ging. Und er war doch alles, was ihr geblieben war!
Klopfenden Herzens passierte sie das große Stadttor und die breite Brücke, die über den Ill führte. Im nahe gelegenen Wäldchen versteckte sie sich im Unterholz. Obwohl der Frühling mit Macht und blühenden Krokussen anbrach, blieb es in der Früh noch empfindlich kalt.
Sie musste nicht lange warten, da entdeckte sie Chris tian und Johannes im Habit der Dominikaner, ein Alter und ein Junger, ein Meister und sein Schüler. Auf dem Rücken trug jeder ein Bündel, und sie holten beim Gehen kräftig aus. Nachdem sie die Brücke hinter sich gelassen hatten, kamen sie an Maria vorbei, die sich versteckt hielt. Als sie auf ihrer Höhe waren, senkte sie den Blick, denn sie hätte seinen Anblick in der Stunde der Trennung nicht ertragen. Dafür hörte sie seine Stimme im Duett mit Bruder Johannes. Sie sangen einen Psalm.
Nach einer Weile sprang sie aus dem Wald auf die Straße und sah den beiden Männern nach. Sie marschierten der aufgehenden Sonne entgegen. Groß und gelb strahlte das Gestirn. Plötzlich blieben die Pilger stehen und drehten sich um. Es freute Maria, dass er ihre Anwesenheit doch noch gespürt hatte. Sie beschirmte die Augen mit der Handfläche und blinzelte. Christian winkte ihr zu und lächelte dabei etwas verunglückt. Dann setzten die beiden Dominikaner ihren Weg mit einer Zielstrebigkeit fort, als liefen sie geradewegs in die Sonne hinein. Am schwersten, dachte Maria, ist es immer für den, der zurückbleibt.
Immer kleiner und schließlich vom Horizont ver schluckt, das war das letzte Bild, das ihr von ihrem Bruder bleiben sollte.
Kapitel 5
Z um ersten Mal seit Monaten fühlte Marta sich frei und aller Last enthoben. Die Fahrt von Hamburg nach Altdorf, die sie einmal längs durch Deutschland führte, hätte zu einem Erlebnis werden können, wenn sie nicht auf den anonymen, immer gleichen Autobahnen Teil eines stumpf dahinfließenden Blechstromes geworden wären. Doch bei dem Winterwetter wollte sie kein größeres Risiko als unbedingt nötig eingehen.
Trotzdem entwickelte sich die Fahrt angenehmer, als sie zu hoffen gewagt hatte. Und das war Benjamin zu ver danken, der mit seiner Mutter ein Lied nach dem anderen sang und seiner muffligen großen Schwester so lange zusetzte, bis auch sie, anfangs verhalten, dann immer begeisterter, mitmachte. Marta genoss das gemeinsame Singen, die plötzlich im Auto entstandene unbeschwerte Atmosphäre, die sie an glücklichere Zeiten erinnerte und Hoffnung schöpfen ließ, die Probleme, die sich aufgetürmt hatten, auch lösen zu können.
So erreichten sie am frühen Abend das fränkische Altdorf in bester Laune und parkten vor dem Hotel, das mitten im Städtchen direkt am Marktplatz lag. Vergnügt sprangen sie aus dem Auto. Der Himmel kleidete sich in leuchtendes Purpur. Benjamin spielte mit seinem Atem, der in der kühlen Luft sofort kondensierte.
»Schau mal, Mama, ich rauche!«, rief er begeistert.
»Ich hoffe nicht, mein Sohn«, antwortete sie pädago gisch streng. Provozierend pustete Katharina daraufhin eine beeindruckend lange Atemsäule in den Abendhimmel.
»Du wirst deinen Atem noch für dein Gepäck brauchen«,
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