Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Sie glaubten, dass Gott sie als Soldaten gesandt hatte, um die Welt vom Bösen zu reinigen. Mittels mystischer Praktiken, die im Orden gelehrt wurden, meinten die fida’i , wie man die Ordensbrüder nannte, zu Gott gelangen zu können. Allerdings glaubten sie auch, das Gottesreich bereits auf Erden errichten zu müssen.«
»Religiöse Spinner also«, presste Marta wütend hervor.
»So einfach würde ich es mir nicht machen. Diese Leute suchten und fanden nämlich wirklich eine große Macht.«
»Was für eine Macht?«
»Durch bestimmte Meditationstechniken vermoch ten sie ihren Köper zu verlassen und Reisen mit dem Geist zu unternehmen, wann immer und wohin sie immer wollten.«
»Sie meinen wirklich, sie konnten ihren Körper in Hinterindien abstellen und in Vorderindien zum Tee erscheinen?«, fragte Marta bissig. Ihre Kinder waren verschwunden, und sie unterhielten sich hier über Hokuspokus. Aber genau diesen Hokuspokus wollten die Entführer von ihr. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich diesen Schwachsinn anzuhören, so schwer es ihr auch fiel. »So kann man es sagen. Wer körperlos zu reisen versteht, hat zu allem Zugang.«
»Er könnte uns jetzt also auch unerkannt zuhören?«
Alfonso nickte kurz.
»Und wie soll das gehen?«
»Das ist eben das Geheimnis. Und es steht in dem Buch, das die Entführer im Austausch gegen Ihre Kinder von Ihnen haben wollen.«
»Aber wieso Meditation?
»Zuerst muss man das Ursache-Wirkungs-Prinzip, das unser Denken beherrscht, vergessen. Und verstehen, dass es verschiedene Welten gibt und man gleichzeitig in verschiedenen Welten lebt. Wenn man das wirklich begreift, dann kann man auch lernen, in diesen anderen Welten unterwegs zu sein. Dieses Begreifen erlangt man aller dings nur dadurch, dass man diese Welten erlebt, und der Weg zu diesem Erleben führt über eine bestimmte Meditationstechnik. Der erste Schritt der Meditation ist daher die Entdeckung des Selbst, des inneren oder eigentlichen Menschen, der mit der sichtbaren Welt nichts zu tun hat. Die Meister dieser Meditation meinen sogar, dass die sichtbare Welt gar nicht wirklich existiert, sondern nur eine Illusion, eine Verführung unseres Intellekts ist.«
»Müssen wir also dumm werden?«
»Ich will Sie nicht von irgendetwas überzeugen. Ich erkläre Ihnen nur, was diese Menschen glauben, damit Sie verstehen, was sie von Ihnen wollen. Sie sind hinter dieser Meditationstechnik her, mit deren Hilfe ihr Selbst das Gefängnis des Körpers verlassen kann.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, hatte Christian Rosenkreuz davon Kenntnis?«
»Richtig. Christian Rosenkreuz, der Stifter und Leh rer des Geheimbundes der Rosenkreuzer, traf mit den fidawijja zusammen. Die Geschichte des Christian Ro senkreuz, über die es mehr Legenden als greifbare Zeugnisse gibt, ist immer noch ein großes Geheimnis.«
Unwillkürlich kamen Marta die Träume, die von Christian Rosenkreuz handelten, in den Sinn, und sie fröstelte. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass irgendjemand oder irgendetwas sie zu manipulieren versuchte. Wie gern hätte sie jetzt die Augen in ihrer Hamburger Wohnung aufgeschlagen und erkannt, dass alles nur ein großer Alptraum gewesen war. Wie gern würde sie jetzt mit ihrer aufmüpfigen Tochter streiten. Aber religiöse Fanatiker hatten ihre Tochter und ihren Sohn in ihre Gewalt gebracht, und sie saß in einer kleinen fränkischen Stadt einem Mann gegenüber, den sie vor vielen Jahren als Jugendliche einmal von fern gesehen hatte und der abstruse Dinge erzählte – und all das war keineswegs ein Alptraum, sondern die Wirklichkeit.
»Ist ihnen kühl? Sollen wir hineingehen?«, erkundigte er sich aufmerksam.
»Nein, ist schon gut. Erzählen Sie weiter.«
»Auf seiner Pilgerreise erwarb Christian Rosenkreuz viel Wissen, darunter auch sehr geheimes. Von den fidawijja erlernte er diese besondere Meditationstechnik, die ihnen eine unermessliche Macht bescherte. Nachdem die fidawijja im 14. Jahrhundert von den seldschukischen Türken verfolgt und vernichtet wurden und ihre Bergfestung Alamut geschleift wurde, wäre ihr Wissen verloren gegangen, hätten die Rosenkreuzer es nicht bewahrt und in ihrem geheimen Buch T niedergelegt. Ich glaube, dass die Sekte der fidawijja wiederbelebt worden ist. Und nun ihr Wissen zurückhaben will.«
»Tut mir leid, aber ich verstehe immer noch nicht, was das alles mit mir zu tun hat.« Sie schaute ihn an. Er schwieg. Im Grunde kannte sie die Antwort, lehnte sich nur innerlich
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