Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
enttäuschen mich. In dem Buch wurde das Ge heimnis verwahrt. Es ist sein Vermächtnis. Also, was heißt es? Ich gebe Ihnen noch einen Hinweis: Das Buch ist nach der Bibel für die Rosenkreuzer der wichtigste Leitfaden.«
»Die Bibel besteht aus dem Alten und dem Neuen Testament. Ein drittes T kann also nur ein drittes Testament sein, die Bibel der Rosenkreuzer«. Nun schmunzelte auch sie, und sie spürte, wie sich ihre Anspannung dadurch ein wenig löste.
»Richtig. Sie finden darin, wie der Stein der Weisen herzustellen ist, und auch das Elixier für das ewige Leben. Außerdem hat Christian Rosenkreuz die Meditationstechnik für die körperlosen Reisen aufgeschrieben. Genau das, was die Entführer von Ihnen haben wollen.«
Zum ersten Mal wich die Spannung von ihr. Sie hatten das Buch gefunden, jetzt würde sie ihre Kinder bald wieder in die Arme schließen können.
Alfonso machte sich am Altar zu schaffen. Sie beobachtete ihn.
»Woher wissen Sie, dass wir genau dort suchen müssen?«
»Steht alles in der Fama , exakt beschrieben. Das Einzige, was Sie dort nicht finden, ist der Ort, wo sich das Grabmal befindet. Aber jetzt haben wir es ja gefunden.«
In seiner übergroßen Freude wirkte er knabenhaft. Es sah aus wie ein Kinderspiel, als er den Altar zur Seite schob, der unter seinem Druck leicht nachgab, als stünde er auf Eis. Eine weitere, längliche Messingplatte verdeckte eine Vertiefung.
»An Messing hatten die Herrschaften ja offenbar keinen Mangel.«
»Es ist ein Zeichen für die Bescheidenheit.«
»Ist es nicht eher Prahlerei, Gold zu imitieren?«
»Wenn Leute, die Gold machen konnten, etwas benutzen, das wie Gold aussieht, aber kein Gold ist, dann nenne ich das Bescheidenheit.«
Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken und warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Die Rosenkreuzer konnten also Gold herstellen. Natürlich. Nichts leichter als das. Jetzt machen Sie aber bitte mal einen Punkt.«
Doch Alfonso ließ sich nicht beirren. Er schien Skepsis und Spott gewohnt zu sein und hob stattdessen mühelos die Abdeckung auf.
Was Marta nun sah, verschlug ihr den Atem. Hatte sie bestenfalls ein paar gut erhaltene Knochen erwartet, lag zu ihrem Erstaunen ein schöner alter Mann mit weißem Haar vor ihr, der so aussah, als schliefe er nur. Allenfalls sein Teint war etwas blass.
»Mein Gott«, rief sie aus. »Wer ist das?«
»Christian Rosenkreuz«, antwortete Alfonso mit dün ner Stimme. Man sah ihm die Erschütterung an.
»Woher wollen Sie das so genau wissen?«, fragte Marta skeptisch.
»Ganz einfach: Sein Leichnam sieht genauso aus wie in der Fama beschrieben. Denken Sie einmal nach – bis jetzt hat sich alles, was in der Fama geschrieben steht, bewahrheitet.«
»Und wie lange soll er schon tot sein?«
»Etwa 530 Jahre.«
»So gut sieht die besterhaltene Mumie nicht aus. Das können Sie mir nicht erzählen! Das ist wissenschaftlich unmöglich!«
Das Ganze kam ihr zwar unheimlich, aber doch auch abgeschmackt vor. Da erlaubte sich jemand einen derben Scherz mit ihr. Ihr Misstrauen gegenüber dem schrecklichen Alfons, das in der Zwischenzeit eingeschlafen war, flackerte wieder auf.
Wenn nun doch ihr Mann hinter all dem steckte? Vielleicht bezweckte er damit ja, sie in den Wahnsinn zu trei ben oder es so aussehen zu lassen, als wäre sie verrückt geworden, um die Kinder zu bekommen. Möglicherweise waren sie sogar bei ihm! Eine Möglichkeit, die ihr sofort einleuchtete, denn es würde erklären, warum die Entführung so reibungslos abgelaufen war. Zu ihrem Vater wären Katharina und Benjamin sofort ins Auto gestiegen. Dass sie darauf nicht schon früher gekommen war! Die einfachste Erklärung war für gewöhnlich die beste. Und dass er sich fürs Wochenende sogar zu einem Besuch angemeldet hatte, passte wie der Schlussstein ins Gewölbe.
Alfonso, den sie völlig vergessen hatte, riss sie aus ihren Spekulationen. »Schauen Sie mal, was Bruder Christian da in den Händen hält.«
Verständnislos blickte sie auf die Leiche. Feingliedrige Finger umfingen ein kleines Buch, auf dem in Goldlettern die Worte Liber T standen. Vorsichtig nahm Alfonso dem Toten das Buch aus der Hand, verschloss das Grab wieder mit der Messingplatte und dem Altar und wollte die Gruft schon verlassen, als er Martas nachdenklichen Blick bemerkte, mit dem sie die Gruft musterte.
Das Buch existierte tatsächlich, genau wie die Gruft, und auch die Decke strahlte wie durch ein Wunder ohne Lichtquelle, nur aus sich selbst
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