Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Willen, an den sie sich notfalls halten konnte.
»Aber wie wollen wir es dann finden?!«
»Vertrau mir. Wir finden es!«, erklärte er mit fester Stimme.
Er hatte sie geduzt. Was sie seltsamerweise nicht störte, sondern ihr plötzlich ganz natürlich erschien. Ob sie ihm wirklich vertrauen konnte, wusste sie zwar noch immer nicht, aber sie hatte auch keine Alternative. Und letztlich spielte es auch keine Rolle, denn wenn es um Leben und Tod ging, blieb der Mensch immer auf sich allein zurückgeworfen.
»Wenn du deinen Kindern helfen willst, konzentriere dich auf das Wesentliche!«, ermahnte sie Alfonso, der ihre Verunsicherung fühlte.
Er hatte Recht. Während sie zum Auto zurückgingen, schilderte sie ihm die Begegnung ihres Großvaters mit dem Araber. Sie spürte, wie gut es ihr tat, die Ereignisse zu ordnen. Plötzlich bekam alles eine Chronologie und verlor dadurch deutlich an Dämonie. Als sie den fremd klingenden Begriff isra’ erwähnte, merkte er auf, und seine Augen begannen zu glitzern.
»Es geht um mehr als um die Seelenreisen!«, rief er aus. »Deshalb haben sie das Geheimnis wahrscheinlich nur mündlich weitergegeben.«
Sie konnte kaum erwarten, dass er mit seinen Überlegungen fortfuhr, aber er meinte: »Lass uns zur Villa zurückkehren, bevor es Nacht wird. Unterwegs erkläre ich dir alles.«
Beim Einsteigen ins Auto fragte er: »Nur eine Sache noch: War die Erscheinung deines Großvaters die erste und einzige Vision, die du in letzter Zeit hattest? Oder hast du vielleicht auch irgendetwas dir völlig Unverständliches geträumt?« Sie wollte ihm schon von den seltsamen Nachtbildern erzählen, doch ein Rest von Misstrauen hielt sie davon ab. »Erzähl du erst!«, bat sie ihn deshalb und fuhr los.
»Vielleicht ist es wirklich das allergrößte Geheimnis. Ich habe oft von der isra’ gehört, aber niemand weiß, ob es wirklich möglich ist. Denn wenn es funktioniert, dann erschüttert das unsere Welt in den Grundfesten, und einer der ältesten Träume der Menschen wird Wahrheit, möglicherweise sogar eine schreckliche Wahrheit.«
»Zur Sache«, mahnte sie streng, denn ihre strapazierten Nerven ertrugen keine weiteren dunklen Andeutungen schrecklicher Dinge. Sie wollte endlich wissen, worum es ging. Nur so würde sie endlich handeln können.
»Alles beginnt beim Propheten Muhammad. Im Koran heißt es:
Gepriesen sei, der seinen Knecht nachts reisen ließ
Vom heiligen Anbetungsplatz zum fernsten,
um den herum wir Segen spendeten,
um ihm von unseren Zeichen einige zu zeigen!
Der heilige Anbetungsplatz, musst du wissen, ist Mekka, und der ferne ist Jerusalem. Die Entfernung zwischen diesen beiden Orten beträgt etwa 1 500 Kilometer. Mohammed aber reiste in einer einzigen Nacht hin und her, er legte auf seinem geflügelten Pferd Buraq also 3 000 Ki lometer zurück. Deshalb heißt diese Reise isra’ , die nächtliche Reise. Für die fida’i aber bezeichnete isra’ darüber hinaus nicht nur die Reise der Seele an jeden beliebigen Ort der Welt, wobei diese den Körper verlässt, sondern auch die Übermittlung von Nachrichten, Denk bildern und Geschichten allein durch die Kraft des Denkens.«
»Eine Art Seelenwanderung also?«
»So könnte man sagen. Grundlage für diese Seelenreisen ist eine Meditationstechnik, die Christian Rosenkreuz auf seiner Reise von den fida’i erlernte und mit nach Deutschland brachte.«
»Und wie soll diese Übermittlung funktionieren?«
»Durch Luft, sie ist das Übertragungsmedium. Der Magier Agrippa von Nettesheim schrieb Ende des 15. Jahrhunderts in seinem Werk De occulta philosophia : Die Luft ist der Lebensgeist, der alle Wesen durchströmt, allen Leben und Bestand verleiht, der alles bindet, bewegt und erfüllt. Deshalb zählen die hebräischen Lehrer die Luft nicht zu den Elementen. Es war nämlich so, dass bis dahin alle die Luft zu den Elementen, also zu Feuer, Erde und Wasser zählten. Agrippa dagegen versteht die Luft nicht als Element, sondern als Medium, als eine Art Datenkabel, denn diese hebräischen Lehrer, so schreibt er, betrachten die Luft als ein Medium und Bindemittel, welches Verschiedenes miteinander verbindet, und als einen Geist, der der Weltmaschine Stärke verleiht. Ebenso nimmt die Luft die Gestalten aller sowohl natürlichen als auch künstlichen Gegenstände – und jetzt kommt es! – sowie die Laute jeglicher Rede wie ein göttlicher Spiegel auf, hält dieselben fest, führt sie mit sich und indem sie in die Körper der Menschen
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