Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
Gedanken schlief er ein.
Andreas Gassenhöfer wohnte in der Kapitelgasse, die sich unweit des Gasthofs befand, in dem Matthias untergekommen war.
Andreas Gassenhöfer war ein hagerer Mann Anfang Vierzig mit kurzem gelocktem Haar und einem, mit grauen Strähnen durchzogenen, Spitzbart. Er begrüßte Matthias freundlich und las zunächst in Ruhe die Zeilen, die ihm Kepler geschrieben hatte.
»Seid mir willkommen in meinem Haus«, nahm er danach Matthias freundlich auf. »Folgt mir bitte. Wir begeben uns am besten gleich in mein Arbeitszimmer.«
»Ihr seid auch Notar wie Euer Urahn?«, erkundigte sich Matthias bei seinem Gegenüber.
»Ja, es scheint eine Familienkrankheit zu sein«, antwortete Matthias Gassenhöfer schmunzelnd, »die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Doch eigentlich wäre dieser Urahn nur ein Uronkel, wenn nicht diese Nebenlinie unserer Familie ausgestorben wäre. So bin ich wohl in den Besitz jener Unterlagen gekommen, die Euch interessieren.«
Gassenhöfer ging zu einem Schrank, der mit einem großen Schloss gesichert war. Er nahm einen Schlüssel, den er an einer Kette um den Hals trug, und schloss auf. Der Schrank war voll mit Aktenbündeln und Büchern. Wohl besonders wertvolle Schriften, dachte Matthias bei sich. Darum hat er sie unter Verschluss. Gassenhöfer strich mit seinem Finger an den Aktenbündeln entlang und zog dann zielgerichtet eines heraus.
»Das hier dürfte alles sein, was Euch interessiert. Es sind die persönlichen Aufzeichnungen des Knechtes und Schülers von Paracelsus über die damaligen Geschehnisse, die er – warum auch immer – meinem Urahn anvertraute. Vielleicht, weil er in einem Notar keine Gefahr sah«, lächelte Gassenhöfer, als er Matthias das Aktenbündel übergab.
»Ich habe noch einiges zu tun. Darum lasse ich Euch jetzt einige Zeit allein. Es wird wohl auch einige Stunden dauern, bis Ihr Euch durch dieses Convolut durchgearbeitet habt.«
»Ich danke Euch für Euer Vertrauen«, entgegnete Matthias und schnürte das Aktenbündel auf. Bereits bei den ersten Zeilen, die er las, staunte er nicht schlecht, denn das Vermächtnis jenes Dieners von Paracelsus entpuppte sich alsbald als ein spannender Abenteuerroman:
… Es war schon gegen Mitternacht, als es heftig an der Tür polterte. Missmutig sah der ältere Mann mit dem bulligen Kopf, der von einer hohen Stirn geprägt wurde, auf. Er saß an einem Tisch über einen Stapel Papiere gebeugt, überlegte einen kurzen Augenblick, doch dann entschloss er sich, mit seinem Studium fortzufahren und das Poltern an der Tür nicht zu beachten.
Im Kamin flackerte noch schwach die Flamme des Feuers und spendete nur noch wenig Wärme. Eine Tranlampe auf dem Tisch gab gerade genug Licht, so dass er lesen konnte. Es waren alte alchimistische Texte in französischer und lateinischer Sprache, die er sich zu übersetzen bemühte. Es war schwierig und er mühte sich bereits seit Wochen, das Geheimnis dieser alten Schriften zu enträtseln. Das Papier war zum Teil verwittert, das Schriftbild an vielen Stellen verblasst und schlecht zu erkennen. Auch tauchten immer wieder Vokabeln auf, die ihm unbekannt waren, was ihm die Arbeit zusätzlich erschwerte. Was hatte ihm da Kaiser Maximilian kurz vor dessen Tod übergeben, dass er fortan um sein Leben bangen musste und was ihn zum Mitwisser einer geheimen Gesellschaft werden ließ, die niemals offiziell genannt werden durfte, deren Macht und Einfluss aber grenzenlos zu sein schienen. Seit jenen Tagen, als der Kaiser ihm jenes Mysterium offenbarte, hatte sich sein Leben schlagartig verändert. Plötzlich gab es ihm einen völlig neuen Sinn und er hatte zusätzliche hohe Ziele, die es zu erreichen galt. Geheimnisse, die ihn in ihren Bann schlugen und denen er jetzt auf die Spur kommen wollte. Es polterte wieder an der Tür. Jemand trommelte regelrecht mit seinen Fäusten dagegen.
»Doctor, nun hört doch und öffnet die Tür. Die alte Parzer liegt danieder, sie stirbt«, war eine junge Frauenstimme zu hören.
Eine andere Tür zum Zimmer öffnete sich. Ein schlaftrunkener junger Mann mit krausen dunklen Haaren und unrasiertem Gesicht betrat den Raum. Paracelsus war gerade aufgestanden und raffte hastig ein paar Sachen zusammen. Der junge Bursche rieb sich noch müde und gähnend die Augen.
»Was ist, Meister, wollt Ihr noch fort?«
Noch bevor der Arzt antworten konnte, trommelten schon wieder die Fäuste gegen die Haustür.
»Doctor, kommt, es eilt!«
»Ja, ja, ich
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