Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
voraus war? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor und er zerbrach sich dauernd den Kopf darüber. Doch es wollte ihm einfach keine Lösung einfallen.
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Als es Abend wurde, betrat Marinus niedergeschlagen Enjas Hütte. Wütend und enttäuscht warf er sich auf sein Bett. Enja sah die Trauer des Jungen und kam zu ihm herüber, setzte sich neben ihn auf die Bettkante und streichelte ihm sanft durch das Haar.
»Er wird kommen«, sagte sie. »Er hat es dir versprochen. Ich glaube ihm.«
Der Junge richtete sich auf.
»Warum?«, schrie er. »Warum?«
Enja war von dem heftigen Ausbruch des Knaben überrascht.
»Marinus, was ist mit dir?«
»Warum hast du mir nie gesagt, dass du meine Mutter bist? Warum hast du mich all die Jahre glauben lassen, dass ich ein Findelkind sei?«
»Woher weißt du das, Marinus?«, fragte Enja völlig perplex.
»Ach, ich habe euch beide gehört, gestern Abend. Ich wollte euch nicht belauschen, ganz ehrlich, ich war zwar müde, konnte aber nicht richtig schlafen. Erklär es mir, Enja, Mutter!«
Enja konnte jetzt nicht mehr. Sie nahm den Jungen in ihre Arme und drückte ihn an ihr Herz.
»Marinus, mein Sohn, ich liebe dich, weißt du. Ich wollte dir doch nur ein besseres Schicksal ermöglichen, wollte nicht, dass du in diesem Dreck aufwächst, unter diesen Menschen. Ich wollte doch nur, dass du einmal ein besserer Mensch wirst als ich.«
»Ein besserer Mensch? Ich verstehe dich nicht«, weinte der Junge. »Ich hab mir immer gewünscht, dass du meine Mutter wärest. Aber jetzt, jetzt bist du weder meine Mutter noch meine Freundin. Und Maurus kommt auch nicht zurück.«
Heulend warf sich der Knabe in seine Kissen.
»Aber seine Sachen sind noch hier«, meinte Enja.
»Er wird doch gewiss nicht einfach so davon reisen. Sein Wagen, sein Maultier, sein Koffer, alles ist noch bei uns. Er kommt gewiss zurück.«
»Kannst du das schwören?«, fragte Marinus durch die Kissen hindurch.
»Nein, aber ich bin mir sicher, dass er zurückkommt.«
»Wie?«, fragte der Junge verheult und richtete sich wieder auf.
»Weil ich es in meinem Herzen spüre. Und das solltest du auch, mein Sohn.«
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»Es war wie immer wunderschön, mit Euch zusammen zu sein, Madame«, meinte der fette Glatzkopf, während er sich das Hemd überstreifte und seine Hosen anzog.
»Es war für mich heute das zweite Vergnügen, das ich erleben durfte«, fuhr er grinsend fort, während sein fettes Gesicht im Kerzenlicht glänzte.
»Euer zweites Vergnügen? Wie darf ich das verstehen, Herr Graf?«, fragte Enja mit gespielter Freundlichkeit, denn im Grunde ihres Herzens verabscheute sie diesen widerlichen schmierigen Grafen und Höfling.
»Keine Angst, meine Liebe, es gibt keine andere Frau neben Euch, noch nicht mal meine eigene«, kicherte der Fettwanst widerwärtig.
»Was bereitete Euch denn dann Vergnügen, mein Herr?«
Enja klimperte mit den Augen und ließ all ihren Charme spielen. Der fette Glatzkopf setzte sich neben sie aufs Bett.
»Wisst Ihr, ich durfte heute erleben, wie man einen Jesuiten verhaftet hatte, offensichtlich einen Mörder, der mehrere Brüder in der Abtei Villers brutal umgebracht haben soll. Ein richtiger Teufel, ein Dämon, wie soll ich sagen, ein Ungeheuer. Und dazu noch ein Mann der Kirche! Ihr hättet das Gesicht des Erzbischofs sehen müssen, Jacobus Boonen war schier sprachlos, brachte keinen Ton mehr heraus, als man ihm sagte, dass ein Jesuit als Massenmörder in seinem Bistum umginge. Jedenfalls konnte auch jener gelehrte Jesuit Jean Bolland kaum ein Wort herausbringen. Ja, wisst Ihr, meine Teuerste, ich habe es ja schon immer gesagt, traue niemals einem Jesuiten. Er ist nicht mehr wert als das Papier, auf dem er seinen Namen schreibt.«
»Ein Jesuit sagtet Ihr? Wo hat man ihn verhaftet?«, fragte Enja und hatte Mühe, ihren besorgten Blick abzuwenden.
»Ihr werdet es kaum glauben. Dieser Verrückte versuchte sogar, zu Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Isabella vorzudringen. Stellt Euch mal vor, wenn er es geschafft hätte. Wer weiß, was er mit der Ärmsten gemacht hätte. Ich will es mir gar nicht ausmalen.
Nun denn, hier ist Euer Lohn!«
Mit diesen Worten warf der Graf Enja ein paar Münzen zu.
»Wisst Ihr zufällig, wie dieser Jesuit hieß?«, fragte Enja vorsichtig.
»Ach, weiß der Teufel. Ich weiß es nicht genau. Aber irgendetwas, hm, lasst mich überlegen. Meulen?«
»Leuven?«, raunte Enja.
»Ach Herr Gott, tatsächlich, ja, van Leuven hieß der Knabe. Aber sagt, woher wisst
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