Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
Altarraum betrat. Er entzündete zusätzliche Kerzen und bereitete offensichtlich etwas vor. Als ob er Maurus’ Blicke spüren würde, drehte er sich um, lächelte den Jesuiten an und schritt den Altar hinunter zu Maurus.
»Kann ich etwas für Euch tun, Bruder in Christo?«, fragte er freundlich. Verwirrt sah ihn Maurus an.
»Kann ich etwas für Euch tun?«, wiederholte er seine Frage geduldig.
»Was, wie, oh verzeiht mir, Bruder«, stotterte Maurus verlegen, »es ist nur – dieser Altar ist wundervoll!«
Der junge Kaplan blickte zurück und lächelte.
»Ja, nicht wahr? Ein wahres Meisterwerk. Interessiert Ihr Euch für Kunst?«
»Gewiss, Bruder, besonders, wenn es sich um so vollendete sakrale Kunst handelt«, erwiderte Maurus, eine Chance witternd, doch noch den geöffneten Altar sehen zu können. »Könnte ich einmal die Innenseiten des Altars betrachten?«
Der Kaplan verschränkte die Arme vor der Brust, hielt dabei mit der linken Hand den rechten Ellenbogen, während die rechte Hand das Kinn umschmeichelte.
»Eigentlich geht das nicht. Nein, ganz bestimmt nicht, der gesamte Altar wird nur an hohen Feiertagen gezeigt, Weihnachten, Ostern und auch an Allerheiligen.«
»Aber dann ist es zu spät«, klagte Maurus. »Solange kann ich nicht warten.«
»Warum nicht, Bruder?«, stutzte der Kaplan. Maurus hatte sich selbst in Bedrängnis manövriert. Was sollte er jetzt antworten?
»Ich, ich, ich werde Europa verlassen«, log er ganz bewusst. »Ich habe eine Missionsstelle in der neuen Welt, in Paraguay angenommen. Wer weiß ob ich jemals zurückkomme. Ihr wisst schon, diese Wilden, die Indianer. Ein Leben ist dort nicht viel wert. Morgen schon muss ich weiter nach Antwerpen und ich hätte den Altar zuvor so gerne einmal offen gesehen.« Beim letzten Satz biss er sich auf die Unterlippe, hatte er doch nun sein nächstes Ziel preisgegeben. Verstohlen warf er einen Blick zur Seite, ob noch andere Personen in seiner Nähe waren. Der junge Priester überlegte einen Moment.
»Also, wenn das so ist – dann wartet bis nach der Abendandacht, ich werde Euch danach ausnahmsweise auch einmal die Innenansicht zeigen.« Der Kaplan wollte schon gehen, um die Andacht vorzubereiten, da hielt er inne.
»Aber zuvor, verzeiht mir meine Neugier, würde ich gerne erfahren, wer Ihr seid. Ich mutmaße ob Eurer Kleidung, Eures Talars, dass Ihr ein Mitglied der Gesellschaft Jesu seid.«
»Es ist wohl unbestreitbar, dass auch ich Kleriker bin«, begann Maurus. »Und Ihr habt Recht, ich bin ein Mitglied der Societas Jesu. Ihr seid ein guter Beobachter, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
Der junge Kaplan lächelte und deutete eine Verbeugung an.
»Ich halte Euch für einen sehr gebildeten Mann, Bruder. Aber ohne Namen, müsst Ihr verstehen, fällt es mir sehr schwer, die richtigen Worte zu finden und Euch Eure Fragen zu beantworten.«
»Das stimmt wohl, Bruder. Verzeiht meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Pieter Brouwers und wer seid Ihr?«
Maurus Hände wurden feucht und er hatte das Gefühl, man würde ihm seine Lüge ansehen.
»Dann seid willkommen Pieter Brouwers. Ich bin Arjen Braafheid.«
Kurz vor sieben Uhr am Abend läuteten die Glocken und riefen die Gläubigen zur Andacht in die Kirche. Nach und nach füllten sich die Bankreihen in der Kathedrale Sankt Bavo, so dass Maurus über die Menge der Gläubigen, die der Andacht beiwohnen wollten, staunte.
Geduldig und mit einem gewissen Wohlempfinden nahm er selbst an dieser Andacht teil, war froh, bisher unbehelligt geblieben zu sein. Kaum hatte der letzte Kirchgänger nach der Andacht das Gotteshaus verlassen, trat unvermittelt der junge Kaplan zu Maurus.
»Wir haben jetzt Zeit, Bruder in Christo. Ich könnte Euch jetzt die Innenseiten des Triptychons einmal zeigen.«
Gemeinsam betraten sie den Altar. Vorsichtig öffnete Arjen Braafheid die beiden Flügel des Triptychons.
»Ich lasse Euch allein, dann könnt Ihr das Bild in Ruhe studieren. Ich bin in der Sakristei zu finden«, sagte er und zog sich zurück.
»Danke«, antwortete Maurus bereits geistesabwesend, so sehr beeindruckte ihn das, was er jetzt sah.
Das offene Retabel, zeigte Maurus ein Bild von schwelgerischer Farbigkeit. Die abgebildeten Personen, Engel, Landschaften und Städte waren von enormer Detailgenauigkeit. Brokatgewänder von Gold und Silberfäden durchzogen, glänzende Edelsteine und funkelndes Gold beeindruckten in ihrer Ausstrahlung, Farb- und Lichtbrillanz das Auge des
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