Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
sehen.«
Wieso?«, fragte Maurus ungläubig.
»Geflohen, vor den Spaniern, vor dem verdammten Krieg, so viele sind geflohen.«
»Was meint Ihr damit, Frater Amarin?«
»Das kaum noch Mönche im Kloster leben. Alle fort!«
»Aber Euer Abt, der ist doch noch da?«
Bruder Amarin lachte kurz auf.
»Ja, der ist auch geflohen.«
»Aber wer erwartet mich denn dann im Kapitelsaal?«
»Unser Prior, Pater Lambert. Er ist geblieben. Hatte keine Angst wie die anderen.«
Ohne ein weiteres Wort ging Amarin weiter. Maurus hatte Mühe, ihm zu folgen. Über den Südflügel der Abtei gelangten sie in das Refektorium des Klosters, von dort aus liefen sie einen langen dunklen Gang entlang, durchquerten das Amarium – die Bibliothek des Klosters und erreichten endlich den Kapitelsaal.
Dort im Versammlungsraum des Klosters saß Pater Lambert auf dem Stuhl, der sonst dem Abt gebührte. Als die beiden Fratres den Saal betraten, blickte er auf und schaute Maurus geradewegs an, in seiner Hand das Legitimationsschreiben von Churfürst Ferdinand.
»Seid gegrüßt, gelobt sei Jesus Christus! Willkommen in unserer Mitte. Ich stelle fest, dass es mit der Gesellschaft Jesu nicht mehr weit her ist, Bruder Maurus«, begrüßte ihn der Prior.
Maurus war verwundert ob der harschen Worte und wusste nichts zu antworten außer: »Gelobt sei Jesus Christus, ehrwürdiger Prior, wie meinen?«
»Seht Euch an, sieht so ein Mann Gottes aus?«, tadelte der Prior Maurus’ Kleidung.
»Entschuldigt meinen Aufzug, ehrwürdiger Prior, ich bin gerade von einer langen Reise angekommen und hatte noch keine Gelegenheit, mich angemessen zu kleiden.«
»Ein Mann Gottes sollte seine Berufung nicht verleugnen, Bruder.«
»Nun, es herrschen allenthalben schwere Zeiten. Da kann einem auf einer Reise alles Mögliche zustoßen«, versuchte Maurus sich zu rechtfertigen.
»Ein rechter Mann Gottes braucht nichts zu fürchten. Will sagen: Braucht keine Verkleidung, so wie Ihr. Denkt drüber nach, Bruder in Christo. Und nun, sagt an, was führt Euch zu uns? Warum seid Ihr den langen Weg aus Bonn in diese gottverlassene Gegend gekommen?«
»Ich komme auf Order Seiner Durchlaucht Churfürst Ferdinand von Cölln zu Euch. Mein Churfürst erwägt, einen seinen Amtsvorgänger in den Stand der Heiligen erheben zu lassen. Vor etwa 400 Jahren starb Erzbischof Engelbert I. von Cölln unter mysteriösen Umständen. Sein Cousin, Friedrich von Isenberg soll ihn angeblich ermordet haben. Da Engelbert wegen seiner besonderen Güte und Frömmigkeit vom Volk noch immer hoch verehrt wird, möchte der Churfürst Ferdinand von Wittelsbach ihn nun heilig sprechen lassen. Doch ist nun das Vermächtnis der Sophie von Limburg aufgetaucht, welches Engelbert gar nicht mehr so heilig erscheinen lässt.«
»Und daher wollt ihr nun in unserer Bibliothek nachforschen, Frater Maurus?«
»So ist es, Pater Lambert, dieses Vermächtnis wurde seinerzeit durch den ehrwürdigen Abt dieses Klosters, Arnulf van Leuven beurkundet. Erzbischof Ferdinand vermutet, dass das Vermächtnis eine Fälschung ist. Darum gab er mir den Auftrag in Villers nach dem Original zu suchen.«
»Arnulf van Leuven, ja, der war hier Abt, genau weiß ich es nicht, vielleicht im 13. Jahrhundert. Seine gottesfürchtigen Werke sind hier sehr wohl aufgehoben. Bruder Amarin wird Euch später zu Bruder Jean bringen, unserem Bibliothekar. Er bewohnt jetzt das Besprechungszimmer direkt neben dem Armarium. Aber zuvor wird Euch Frater Amarin zu Eurer Zelle geleiten.«
Amarin führte Maurus schweigend vorbei am Scriptorium zu den Zellen der Mönche, die bis auf wenige Ausnahmen leer standen. Maurus’ Habseligkeiten waren von Rupert in die Zelle gebracht worden. Recht einsilbig führte ihn Amarin anschließend durch die Räume der Abtei.
»Hier das Dormitorium, dort hinten, am Ende des Ganges, findet Ihr das Necessarium. Dort drüben haben wir eine Badestube. Den Speisesaal kennt Ihr bereits. Zwischen dem Speisesaal und dem Flügel der ehrenwerten Brüder gibt es einen Zuweg zum Kreuzgang. Da, das große Portal am Ende des Flügels der Mönche führt in die Kirche. Habt ihr alles verstanden, kommt Ihr zurecht?«
»Ich denke schon, Fra Amarin. Habt Dank.«
»Gut, Bruder. Beim nächsten Läuten beschließen wir dann den Tag mit dem Komplet. Morgen in der Frühe werdet Ihr Gelegenheit haben, mit Frater Jean zu sprechen.« Bei dieser Gastfreundschaft, die ihm hier entgegenschlug, wagte Maurus nicht mehr, nach etwas Essbarem zu
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