Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
dem schulterlangen, blonden Haar zu. Romary nickte still und sah den anderen Novizen bedrückt an. Maurus konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Junge sich vor irgendetwas ängstigte.
Endlich war die Zusammenkunft vorüber und ein jeder der kleinen Gemeinschaft zog sich in seine Zelle zurück. Romary aber musste dem Novizenmeister ins Besprechungszimmer folgen.
Maurus studierte in seiner Zelle noch ein wenig die alten Dokumente mit dem Vermächtnis der Sophie von Limburg, solange es das Tageslicht noch zuließ. Die untergehende Sonne färbte den Himmel orangerot und ließ die wenigen Wolken rosafarben leuchten. Rosa – Rosa Mystica! Wie es Liebknecht jetzt wohl ginge, fragte er sich und hatte plötzlich wieder die merkwürdige Szene während des Komplets vor Augen. Was hatte Bruder Lambert noch einmal gesagt? Maurus überlegte: Mögen die Geheimnisse des Glaubens diesen geweihten Ort niemals verlassen. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn. Warum haben die anderen Brüder dabei gestutzt und sich verwundert angesehen? Was war daran so ungewöhnlich für die Mönche? Der genaue Wortlaut des Komplets war ihm nicht mehr so geläufig, darum beschloss er, am nächsten Morgen als erstes nach entsprechenden liturgischen Schriften zu suchen. Dabei fiel ihm der alte Jean wieder ein, der Mönch mit dem Furcht einflößenden Blick. Das beklemmende Gefühl vom Abendgebet stellte sich wieder ein. Irgendetwas schien in diesen Klostermauern nicht zu stimmen. Warum waren nicht alle geflohen? Was wollte man hier verbergen oder besser beschützen? Maurus war entschlossen, dieses Geheimnis zu lüften, doch ermahnte er sich selbst zu großer Vorsicht.
Plötzlich hörte er deutlich jemanden stöhnen, öffnete seine Zellentür und horchte auf den Gang hinaus. Da, wieder! Irgendjemand stöhnte laut und vernehmlich. Maurus sah sich um. Niemand war zu sehen. Offenbar waren alle Brüder in ihren Zellen. Sich nach allen Seiten umsehend, folgte er den qualvoll klingenden Geräuschen. Maurus war sich sicher, dass das Stöhnen aus der vorletzten Zelle des Ganges kam. Unschlüssig überlegte er, ob er die Tür einfach öffnen oder anklopfen und fragen sollte, ob er helfen könne. Ein merkwürdig zischendes Geräusch war plötzlich zu hören und direkt darauf ein schmerzgepeinigtes Aufstöhnen. Van Leuven nahm all seinen Mut zusammen, löste langsam den Türriegel und erblickte Frater Amarin, nackt vor einem Kruzifix, den Rücken voller blutiger Striemen, in seiner Rechten eine Geißel. Die Peitsche hatte an den Enden Gewichte aus Metall, die zusätzlich mit Widerhaken besetzt waren.
Amarin hatte Maurus’ Eintreten nicht bemerkt, holte wieder zum Schlag aus und fügte sich weitere blutige Striemen und Wunden zu. Ein Flagellant, dachte Maurus bei sich. Ein Flagellant! Warum geißelte sich der Zisterzienser? Warum machte er das?! Leise schloss der Jesuit wieder die Tür, lehnte sich an die Wand und rang für einen Moment nach Luft. Wo war er hier nur hingeraten?
Bedrückt schlich er zurück zu seiner Zelle, da vernahm er ein leises Wimmern. Maurus erkannte sofort, dass da ein Kind weinte. Wieder horchte er angestrengt und ging dieses Mal beherzter dem Wimmern in einer der Zellen nach und sah dann Romary weinend und zusammengekrümmt auf einer harten Pritsche liegen. Eine Hand hielt der Junge an sein Gesäß. Blut quoll hervor, befleckte das Novizenkleid des Knaben und auch das Laken auf dem Bett.
Schlagartig wurde Maurus klar, was hier geschehen war. Amarin hatte sich an dem Jungen vergangen, das waren die Lektionen, die er noch mit Romary zu besprechen hatte. Und darum geißelte er sich jetzt selbst. Wer weiß wie oft dies schon geschehen war, die Blicke der beiden Knaben bei der Besprechung waren mehr als deutlich! Maurus ekelte sich nur noch. In der Zelle roch es nach Erbrochenem und auf dem Gewand des Jungen waren noch die klebrigen, gelblich weißen Spuren der Lektionen zu sehen. Maurus aber überwand den Brechreiz, spürte, dass der Novize Hilfe brauchte.
»Romary, Junge. Komm mit, ich bringe dich zu Leonhard. Er muss dich versorgen!«
»Nein, nein, nicht! Bitte!«, hob der Knabe abwehrend die Hände. Verwirrt schaute Maurus den Novizen an.
»Aber er ist doch Euer Arzt«, sagte Maurus.
»Er wird mir wieder dieses Zeug geben. Dann wird alles nur noch schlimmer«, weinte der Junge.
»Was für ein Zeug?«
»Weiß nicht, so Medizin eben. Eklige Tropfen, die einem beinahe das Gedärm herausreißen, noch mehr Schmerzen
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