Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
Oder war es Maria Magdalena, Jesus Gefährtin? Und wie sollte er ihr helfen? War es Wirklichkeit oder doch nur ein Traum? Monteverdis Marienvesper konnte ihn diesmal nicht beruhigen und entspannen. Sie verwirrte ihn eher noch mehr.
Du musst dich wieder auf das Wesentliche konzentrieren, sagte er zu sich selbst, nur das Wesentliche. Doch was war das Wesentliche? Da war sein Auftrag, seine Gesandtschaft, die ihn nach Rom bringen sollte. Da war aber auch die Spur seiner Urahnen, die ihn beinahe unerbittlich begleitete, ja beinahe verfolgte. Da waren die Hinweise auf das verschollene Evangelium der Maria Magdalena. Sollte es tatsächlich einmal im Besitz der Johannisritter von Cölln gewesen sein? Gar im Besitz seines eigenen Urahn? Unvorstellbar, ja unmöglich. Und dennoch gab es eindeutige Hinweise. Ihm fielen die mahnenden Worte Adolfs von dem Bongart wieder ein, dem Komtur der Deutschordensballei Coblentz, die Erlebnisse in Mergentheim, die dazu geführt hatten, dass ihm der Hochmeister des Deutschen Ordens jetzt eine Eskorte beiseite gestellt hatte, die ihn auf seiner weiteren Reise begleiten sollte. Eine Eskorte, oder waren es eher Aufpasser und Spione, die jeden seiner Schritte unverzüglich dem Hochmeister melden würden?
Geschickt hatte der Hochmeister alle Schuld von sich gewiesen und seinen Bibliothekaren, Bodo von Stockhausen, beschuldigt, Matthias vergiftet zu haben. Nein, Westernach hatte den armen Teufel geopfert!
Aber Matthias hatte ja zwei treue Gefährten, auf die er sich bedingungslos verlassen konnte, zum einen Konrad Gropper, der Kutscher, zum anderen auch der junge Ephraim Trachmann, ein blutjunger Jude, der sehr darunter litt, unter Christen leben zu müssen, kein koscheres Essen zu sich nehmen zu können und immer auf der Hut zu sein, wenn er eingeschlossen in seiner Kammer seinen Gebetsschal trug und leise Gebete auf Hebräisch sprach. Ein junger Mann, der sich mit Waffen auskannte und dennoch ein gläubiger, treuer Sohn seines Vaters war. Eigentlich unter Matthias’ Obhut gestellt, war es wohl der Junge, dem Matthias sein Leben zu verdanken hatte.
Das Dominikanerkonvent in Mergentheim hatte man Leer vorgefunden. Die Mönche waren geflohen und die Suche nach ihnen erfolglos geblieben. Die Suche! Hatte man wirklich nach den Mönchen gesucht? Wollte man sie wirklich finden? Matthias hatte seine Zweifel. Er wusste, dass Philipp Adolf von Ehrenberg, der Fürstbischof von Würzburg, auch ein großer Gegenreformator war und nichts unversucht ließ, um die Macht der katholischen Kirche wieder herzustellen. Eine Macht, die Matthias im Augenblick sehr zweifelhaft vorkam. Eine Macht, von der er sich mehr bedroht denn beschützt fühlte, ein seltsames Gefühl, das ihn beschlich. Quo vadis, Domine? – wohin gehst du, Herr? – stellte er sich erneut die Frage nach Gottes Weg, womit er eigentlich seinen eigenen Weg meinte.
Ecce Engelberti! Siehe Engelbert! Er konnte sich an alles erinnern, nur dieses Dokument hatte er nicht gelesen, und es war verschwunden, wie man ihm berichtete, nicht mehr auffindbar. Hatte es jener seltsame Lektor gestohlen? Existierte dieser Lektor überhaupt oder war er eine Ausgeburt seiner eigenen Fantasie? Doch die Tatsache blieb bestehen, dass jenes Dokument verschwunden war. Was war daran so wichtig, dass er es nicht wissen sollte?
Jetzt trat sein Kutscher Konrad Gropper neben ihn.
»Es wird Zeit, Herr, wir müssen gehen.«
Matthias blickte kurz auf, nickte dankbar. Dann erhob er sich und verließ in Groppers Begleitung den Dom. Draußen bestiegen sie die bereitstehende Kutsche und fuhren zur Marienkapelle am Marktplatz. Dort fand heute die Hinrichtung des Bibliothekars des Deutschen Ordens statt. Der Fürstbischof von Würzburg hatte darauf bestanden, dass Matthias der Hinrichtung beiwohnte. Unter dem Jubel der Menschenmenge zerrten die Schergen Bodo von Stockhausen auf das Schafott. Nach Verlesung des Urteils drückten die Henkersknechte Bodos Kopf auf einen Holzblock. Auf einen Wink des Fürstbischofs schwang der Henker das mächtige Beil und trennte Bodos Kopf mit einem Schlag vom Körper ab. Die Menschen johlten, kreischten und bejubelten die Hinrichtung. Anschließend begleitete die Menge den Leichenzug zum so genannten Sanderasen, ein Platz am südlichen Stadttor, wo man den Leichnam des armen Teufels verbrannte. Bodos Kopf steckte man auf einen Spieß und stellte ihn zur Abschreckung weithin sichtbar auf der Stadtmauer aus.
Angewidert zog sich Matthias nach der
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