Das Geheimnis der Salzschwestern
musste allein ihre Wunden lecken.
Dee sah ihrem Vater nicht in die Augen, als sie ihm erzählte, was ihr Mr Weatherly über Joanna Gillys Salz gesagt hatte. Cutt erstarrte, lief leuchtend rot an, legte schließlich die Hand auf die Theke und sagte: »Na schön. Wenn sie das nächste Mal vorbeikommt, kaufen wir ihr verdammtes Salz. Aber das übernimmst du. Diese Frau hat etwas an sich, das ich nicht ertrage.«
Dee musste nicht lange darauf warten. Jo erschien bereits am nächsten Nachmittag, ihr klappernder, schnaufender Truck kam vor dem Imbiss zum Stehen. Als Cutt den Wagen hörte, trieb es ihm schon wieder die Zornesröte ins Gesicht, er warf Dee ein Bündel Scheine zu und stampfte nach hinten ins Lager, wo er für solche Situationen eine Notfallflasche aufbewahrte. Die Klingel an der Tür ertönte, als Jo hereinkam. Ihr rechtes Auge mochte aus Glas sein, das andere funktionierte jedoch hervorragend und nahm Dee umgehend unter die Lupe. Dee stockte der Atem, und sie gab vor, mit den Ketchupflaschen beschäftigt zu sein, als Joanna drei kleine Jutesäckchen voll Salz auf den Tresen legte. »Und, Kleine, kauft ihr jetzt doch?«
Dee schob die Hand in ihre Schürzentasche, um sicherzugehen, dass sie das Geld von ihrem Vater noch immer hatte. Sie nickte wortlos. Joannas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, Dee nahm zumindest an, dass das ein Lächeln sein sollte. Es war schwer zu sagen.
»Gut. Ich wusste, dass ihr schon zur Vernunft kommen würdet. Das dürfte für ein paar Wochen reichen. Stell davon was auf jeden Tisch, und der Laden wird laufen.«
Dee fragte sich, ob Jo sie wohl darauf ansprechen würde, dass sie in der Marsch herumgeschnüffelt hatte. Sie war zwar davongestürmt, ehe Jo in ihre Nähe gekommen war, Dee hätte aber wetten können, dass die Salzlieferantin sie trotzdem erkannt hatte. Sie versuchte, das Zittern ihrer Finger zu unterdrücken, als sie Jo das Bündel Scheine hinüberschob. Sie hatte sie nicht einmal gezählt. Das übernahm Jo, und sie gab Dee etwa ein Drittel davon zurück.
»So teuer ist Salz nun auch nicht«, sagte sie. »Nicht einmal meins.« Dee schob das Geld wieder in ihre Tasche. Das würde sie als Honorar behalten, beschloss sie, weil Cutt sie gezwungen hatte, sich um den Verkauf zu kümmern.
Jo sah sie scharf an. »Das wolltest du doch sicher wieder in die Kasse legen, oder?«
Dee spürte, wie ihre Wangen brannten. Vielleicht hatten die Leute hier im Ort ja recht, was Joanna Gilly anging. Sie hatte etwas an sich, wodurch sie es sich mit allen verscherzte.
»Sicher«, beteuerte sie und holte die Scheine wieder hervor.
Jo nickte. »Das habe ich mir gedacht. Braves Kind.«
Dee blickte sie finster an. Als Kind bezeichnet zu werden konnte Dee noch viel weniger leiden, als in flagranti erwischt zu werden. Sie war immer schon rundlich gewesen, und ihr Babyspeck ermunterte alte Frauen, sie in die Wangen zu kneifen, und Jungen, ihr an den Hintern zu fassen. Bei ihrem Aussehen nahm sie einfach niemand ernst.
Jetzt hob sie eins der Säckchen hoch. Das Salz war schwerer und klumpiger als erwartet. Jo sah dabei zu, wie Dee den Beutel öffnete und einen Finger hineinsteckte. Die Masse war grob und gräulich, wie mit Quarz vermischter Kies. Sie erinnerte Dee an den Staub der Steinbrüche zu Hause. Sie steckte sich den Finger in den Mund und saugte an dem Salz, und plötzlich überkam sie Sehnsucht nach all dem, was sie in den grünen Bergen zurückgelassen hatte: die Erinnerung an ihre Mutter, ihr Kinderzimmer mit den Gardinen aus Tupfenmull, das herzförmige Becken, in dem sie schwimmen gelernt hatte. Sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. »Der Geschmack erinnert mich an etwas«, stieß sie mit erstickter Stimme hervor.
Jos Stimme war jetzt so rau wie ihr Salz. »Das sagt jeder.«
Dee öffnete die Augen. »Was ist das bloß?«
Jo verzog das Gesicht. »Das fragen mich auch alle. Woher soll ich das wissen? Du hast es doch probiert! Zieh deine eigenen Schlüsse.« Und bevor Dee noch mehr Fragen stellen konnte, rauschte Jo hinaus und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass die kleine Klingel fast an ihrem Läuten erstickt wäre.
K APITEL 3
C laire Gilly Turner hatte durchaus ihre Gründe, das Salz zu hassen. Solange sie denken konnte, hatte es immer alles für sich beansprucht, was ihr im Leben wichtig gewesen war: die Aufmerksamkeit ihrer Mutter und die Zeit ihrer großen Schwester. Es hatte ihr den Bruder genommen und den Vater vertrieben. Tatsächlich
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