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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Baker
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ersten Mal seit dem Krankenhaus richtig ansah.
    Noch immer war ein Großteil von Jos Oberkörper in Verbände gehüllt, die lose Kleidung, die ihre Mutter ihr aus dem Schrank geholt hatte, verbarg diese jedoch. Ihr Haar wuchs inzwischen nach, aber nicht sehr üppig. Auf der rechten Seite des Schädels zeigten sich nur vereinzelte Büschelchen, die noch so dünn und unentschlossen waren wie der Flaum eines Säuglings. Die Ärzte hatten ihr erklärt, dass ihr Haar voller werden und sich mit der Zeit wieder ausbreiten würde, aber im Moment sah es schlimm aus, das wusste Jo. Und natürlich war da auch noch das leere Starren des Glasauges.
    Claire stieß ein Quieken aus und wich rückwärts zurück gegen die Tür. »Ich wusste gar nicht, dass du schon hier bist«, hauchte sie und presste sich eine Hand auf die Brust. »Ich dachte, Mama und du, ihr würdet erst morgen kommen.«
    Jo zuckte mit den Achseln. »Die haben mich einen Tag früher gehen lassen.«
    Claire rang nach Atem. »Das ist gut, oder?«
    »Sehe ich etwa gut aus?«
    »Nein, vermutlich nicht.« Claire ließ den Kopf hängen und trommelte mit den Fingern gegen die Tür. Jo war klar, wie gerne sie die jetzt aufgerissen hätte, um davonzulaufen.
    Um ihre Qual zu verstärken, trat Jo noch etwas näher heran. »Du hast mich nie besucht.«
    Claire blinzelte. »Das stimmt doch gar nicht. Hab ich wohl.«
    »Aber nicht sehr oft.«
    Claire sah auf ihre Hände hinunter, weiß und zart wie Lilienblüten. Selbst vor dem Feuer hatten Jos Hände nie so ausgesehen. »Ich mache doch inzwischen einen Kurs«, erklärte sie, halb verlegen, halb stolz. Jetzt meldete sich bei Jo das schlechte Gewissen. Mit dem Brand der Scheune war für Claire jede Möglichkeit verpufft, aufs College zu gehen. Die Behandlung von Verbrennungen war nicht billig.
    Sie löste den Blick von Claires Alabasterhänden. »Mama hat’s mir erzählt. Stenografie, oder?«
    Claire nickte, und dann entdeckte Jo die dunklen Ringe der Traurigkeit unter ihren Augen. Ihre Haut wirkte fahler, die Wangenknochen waren spitzer geworden, und zum ersten Mal seit der Highschool hatte sie sich mit ihren Klamotten keine besondere Mühe gegeben. Sie trug einen mottenzerfressenen Pullover, der früher Jo gehört hatte, umgekrempelte Jeans und kein Make-up. Plötzlich schlug Claire die Hände vors Gesicht, und Jo war klar, dass sie nun versuchen würde, sich zu entschuldigen. »Oh mein Gott, Jo, es tut mir so leid«, beteuerte sie. »Du hast mir immer gesagt, dass ich nicht in der Scheune rauchen soll, aber ich hab einfach nicht auf dich gehört. Ich bin ja so dumm.«
    Dem widersprach Jo nicht. Verzweifelt und mit tränenüberströmtem Gesicht sah Claire auf. »Kannst du mir das wohl je verzeihen?«
    Jo zögerte. Natürlich wusste sie, welche Antwort an dieser Stelle die richtige war. Aber war sie dazu auch schon bereit? Noch brachte sie es nicht über sich, die Worte auszusprechen, dafür war das Herz in ihrer Brust zu verkohlt. Jetzt noch nicht. »Ich weiß es nicht«, gab sie zu, bedauerte es aber augenblicklich.
    Claire nickte langsam und schlang sich die Arme um den Körper. »Okay«, flüsterte sie. Dann wandte sie sich ab und schlich ohne ein weiteres Wort die Treppe hinauf, während Jo allein im Flur zurückblieb. Ihr neues Auge ruhte schwer in seiner Höhle, all die unausgesprochenen Worte drängten sich in ihrem Mund und zermalmten ihre Zunge zu Brei.
    Am nächsten Morgen schlug Mama ihr vor, gemeinsam einen Spaziergang nach St. Agnes zu machen. »Nachdem du so lange eingepfercht warst, kann dir ein bisschen Bewegung nicht schaden«, sagte sie zu Jo. »Und es ist sicher auch gut für dich, ein vertrautes Gesicht zu sehen.« Jo grummelte. Sie hätte die Begegnung mit anderen Menschen lieber noch weiter hinausgezögert, sich Mama zu widersetzen war jedoch genauso sinnlos, wie gegen den Strom zu schwimmen.
    Für Jos untrainierten Körper war der Spaziergang eine ziemliche Tortur, sie verkniff sich aber ihre Klagen, da Mama von so etwas nichts hören wollte. Die einzigen anderen Wesen dort draußen waren an diesem Morgen die Möwen, und die scherten sich nur um ihre eigenen Probleme.
    Jo war erleichtert, als sie St. Agnes endlich erreichten. Tief sog sie den vertrauten Duft nach Bienenwachs und Zitronenpolitur ein und kniete sich neben ihre Mutter zu den Füßen der Jungfrau, ihr Verstand kam jedoch nicht zur Ruhe. Wofür lohnte es sich denn jetzt noch zu beten, fragte sie sich. Sie wünschte sich so sehr, die Zeit

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