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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Baker
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zurückdrehen zu können, aber dieses Geschenk konnte ihr nicht einmal die Muttergottes machen.
    Gerade zündete sie eine Kerze für Henry an, als Pater Flynn die Kirche betrat. Mama wühlte in ihrer Handtasche herum und zog ein kleines Säckchen Salz hervor.
    »Bring das dem Pfarrer«, forderte sie Jo auf und reichte es ihrer Tochter, die es murrend an sich nahm. Sie wusste, was für eine Taktik ihre Mutter da verfolgte. Mama würde nicht zulassen, dass Jo sich hinter ihren Narben versteckte, das hatte sie ihr vom ersten Tag an im Krankenhaus immer wieder versichert, und dieser Devise blieb sie nun treu. »Na los«, ermutigte sie Jo und stieß sie in die Seite. »Du musst den Leuten trotzdem noch ins Gesicht sehen. Das ist jetzt deine erste Gelegenheit.«
    Pater Flynn nahm den Beutel bedächtig in Empfang und hob die Hände auf Höhe ihres Gesichtes, als wollte er sie berühren, überlegte es sich dann aber noch einmal anders. »Gottes Wege sind unergründlich«, murmelte er schließlich. »Wir können nicht immer verstehen …« Er verstummte. Jo betrachtete sein Gesicht, das Unserer Lieben Frau zugewandt war. »Ich will nicht etwa sagen, dass es zu deinem Besten war«, fuhr er schließlich fort und sah sie endlich wieder an. »Das würde ich mir niemals erlauben. Aber du wirst im Laufe deines Lebens vielleicht zu dem Schluss kommen, dass dieser Schmerz womöglich doch ein Segen für dich ist.«
    Das bezweifelte Jo zwar, statt aber Pater Flynn mit unhöflichem Benehmen vor den Kopf zu stoßen, sah sie lieber die Jungfrau an. »Jetzt bin ich wohl wie sie. Eine Frau ohne Gesicht.«
    Pater Flynn zögerte wieder. Jo wusste, dass er das Bildnis nie sonderlich gemocht hatte, daher erstaunte sie seine Antwort. »Na ja, in jeder Frau steckt doch etwas von der Jungfrau, mein Kind. Deine eigene Mutter weiß das besser als jeder andere.«
    Jo sah zu Mama hinüber, die noch immer mit gefalteten Händen vor den Kerzen kniete und die Lippen im stummen Gebet bewegte. »Wühlen Sie doch nicht die Vergangenheit auf, wenn Sie nicht bereit sind, darüber zu sprechen, Pater«, knurrte Jo, und der alte Priester erbleichte.
    »Was willst du denn damit sagen, Jo?« Der verletzte Blick ließ ihn wie einen kleinen Jungen aussehen, der seinen Lieblingsball verloren hatte.
    » Magna est veritas, et praevalibet «, zitierte Jo und sah ihn mit ihrem guten Auge unverwandt an. »Was heißt das?«
    »Na ja, das ist aus der Vulgata«, stammelte Pater Flynn, »der alten lateinischen Version der Bibel. Es bedeutet ›Die Wahrheit ist groß und wird obsiegen‹. Was für eine seltsame Frage. Wie kommst du nur darauf, mein Kind?«
    Jo zuckte mit den Achseln. Das war eine Zeile aus Idas Brief, an die sie sich erinnerte. Sie hatte eigentlich nur sehen wollen, wie Pater Flynn auf den Satz reagierte. Ihr war klar, dass sie gerade so gemein zu dem Priester war, wie noch nie zuvor, aber sie war doch jetzt ein neuer Mensch, oder nicht? Plötzlich bestand sie aus Schichten, die sie selbst noch gar nicht kannte. Zum ersten Mal in ihren Leben begriff sie, warum manche Menschen Grausamkeit so reizvoll fanden. Sie brachte nämlich ein belebendes Sprudeln mit sich.
    »Nur so«, behauptete sie, wandte sich von Pater Flynn ab und marschierte aus St. Agnes hinaus. Ihre Mutter ließ sie dort zurück. Bevor jedoch die Tür hinter ihr zuschlug, fiel ihr etwas Sonderbares auf. Obwohl Pater Flynn doch eine solche Abneigung gegen die Gottesmutter und ihre Verehrung empfand, hätte Jo schwören können, dass er das Salzpäckchen von Jos Mutter zu ihren pockennarbigen Füßen ablegte und im Gebet oder voller Gram das Haupt senkte – Jo konnte nicht sagen, welches von beidem nun der Grund war, und es interessierte sie auch nicht besonders. Denn so langsam kam ihr der Verdacht, dass diese beiden Dinge eigentlich das Gleiche waren, und sie wollte mit keinem davon etwas zu tun haben.
    Salz war ziemlich nachtragend, wenn man es vernachlässigte, und obwohl das Krankenhaus in Boston natürlich für seine Heilmethoden geworben hatte, stellte Jo nach ihrer Rückkehr für ihre Rehabilitation eigene Regeln auf. Sie nahm sich Zeit, ging die Sache langsam an und kehrte Schritt für Schritt zum Salz zurück: zunächst nur über das Sehen, dann über den Geschmack, und schließlich, und das war der härteste Part, über die Berührung.
    Sie weichte Stoffstreifen in einer Lösung aus Lavendelöl und Kamille ein und legte sie sich auf die blasige Haut. Das war zunächst schmerzhaft, doch

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