Das Geheimnis der Salzschwestern
Seine frechen Sprüche wurden von Tag zu Tag anzüglicher. »Der Kaffee ist hier nicht das einzig Heiße«, sagte er zum Beispiel und griff nach der dampfenden Tasse auf ihrem Tablett. Oder er fragte augenzwinkernd: »Gibt’s da nicht noch was extra?« Normalerweise wäre es ihr bei einer solch plumpen Anmache eher kalt den Rücken hinuntergelaufen, aber Whit machte das irgendwie auf eine charmante Art. Noch während er seine anzüglichen Bemerkungen fallen ließ, machte er sich auch schon über sich selbst lustig, und deshalb reizte es sie irgendwie, bei dem Spielchen mitzumachen. Außerdem gab er gutes Trinkgeld.
Natürlich war ihr Vater von Whit ganz begeistert. Es stellte sich heraus, dass sie beide Fans der Red Sox waren, und von nun an legte Whit Wert darauf, bei jedem Besuch im Leuchtturmlokal ein wenig mit dem Besitzer über Baseball zu plaudern, bevor er sich setzte und seine Bestellung aufgab.
»Es hat schon seine Gründe, dass er der wichtigste Mann der Stadt ist«, bemerkte Cutt oft, wenn er dabei zusah, wie Whit nach einer schnellen Mahlzeit wieder in sein Auto stieg. »Mr Friend von der Eisenwarenhandlung hat mir erzählt, dass Whit während der World Series jedes Jahr ein Tippspiel organisiert. Das sieht man doch gern, dass sich Leute so für die Gemeinschaft einsetzen. Klar, er ist clever und hat Geld, aber er ist sich auch für ein Schwätzchen mit den kleinen Leuten nicht zu schade.«
Dee fragte sich, was ihr Vater wohl sagen würde, wenn er wüsste, für welch andere Dinge sich Whit auch nicht zu schade war, sie verschwieg ihre Flirterei aber lieber. Denn zum einen würde Cutt ihr dafür die Schuld geben, und zum anderen freute sie sich auch über die Aufmerksamkeit.
Dee schüttelte sich und blinzelte. Die Messe war fast zu Ende, also bekreuzigte sie sich ein letztes Mal, berührte erst Stirn und Herz mit dem Daumen, dann ihre linke und rechte Schulter. In ihren dünnen Slippern hatte sie kalte Füße bekommen. Sie wollte gerade aufstehen, als Pater Flynn sie damit überraschte, dass er die Arme ausbreitete und alle Kirchgänger bat, doch noch einen Moment sitzen zu bleiben.
»Ich habe etwas bekanntzugeben«, flötete er. Dee seufzte und ließ sich wieder in die Bank sinken. »Wie ihr alle wisst«, erklärte der alte Priester mit feuchten Augen, »habe ich dieser Gemeinde seit Jahrzehnten treu gedient – faktisch habe ich fast mein ganzes Leben als Erwachsener hier verbracht.« Er ließ den Blick über die wenigen Gesichter in den Bänken wandern, so als denke er zurück an bessere Tage, seufzte dann und fuhr fort: »Nun, um das Buch Der Prediger zu zitieren, ein Jegliches hat seine Zeit, und ich fürchte, meine Zeit ist nun gekommen. Ich muss euch leider mitteilen, dass ich diese Gemeinde im Februar verlassen werde.«
Ein Raunen ging durch die Reihen, und Pater Flynn hob die Arme noch ein wenig höher. »Aber keine Sorge«, erklärte er. »Ihr werdet in guten Händen sein, sogar in vertrauten Händen. Mein Nachfolger ist nämlich jemand, den ihr alle gut kennt: der junge Ethan Stone – nun Pater Stone.«
Die kühle Luft in der Kirche war mit einem Mal so still, dass Dee sich nicht gewundert hätte, wenn sie plötzlich zersprungen wäre wie ein Eisblock. Niemand regte sich, nicht einmal Pater Flynn. Schließlich ließ er die Arme sinken, senkte das Haupt und durchquerte die Kirche, um seinen üblichen Platz an der Tür einzunehmen und die Gemeindemitglieder mit seinem Segen und der Bitte, doch in der nächsten Woche wiederzukommen, in das hässliche Wetter hinauszuschicken.
Cutt beugte sich mit gerunzelter Stirn zu Dee hinunter. »Ist dieser Ethan Stone nicht der Typ, mit dem Whits Frau früher mal zusammen war?« Dee nickte und beobachtete Claire, die an Whits Arm steif den Mittelgang entlangschritt. Ihre grünen Augen waren hart wie Stein.
»Na ja«, murmelte Cutt und setzte ein amüsiertes Lächeln auf. »Da haben die Leute ja was zu reden. Ich kann mir schon vorstellen, worum sich der Tratsch bei uns an der Theke jetzt drehen wird.«
Als sie aus St. Agnes traten, war es eisig kalt, und der Himmel tropfte wie ein alter Schwamm, Dee konnte die Füße aber nicht stillhalten und beschloss, trotzdem zu ihrem üblichen Spaziergang aufzubrechen. Der Strand würde leer sein, und das aus gutem Grund. Da draußen war es so windig, dass sie mit Sicherheit sandgestrahlt würde. Deshalb ging sie die unterschiedlichen Möglichkeiten durch, wickelte sich schließlich ihren Schal um den Hals,
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