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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Baker
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sollte nicht so empfindlich sein«, hatte Jo sie damals angefahren, aber Claire hatte nicht auf sie hören wollen. Dieses Mal zwang Jo sie dazu.
    Sie biss sich auf die Lippe und tauchte den Pinsel wieder ein. Dann malte sie die Umrisse eines Auges in die offene Handfläche Unserer Lieben Frau, dort, wo der Haken in Claires Fleisch gesessen hatte. Auge um Auge, dachte Jo, pinselte erst die Iris und dann die Wimpern. Claire sollte wissen, dass ihr Weggang aus der Marsch nichts veränderte. Jo wollte ihrer Schwester klarmachen, dass ihre Augen stets wachsam auf ihr ruhen würden – und zwar beide, das gute in ihrem Kopf und auch das andere, das im Feuer in der Scheune zu Brei zerkocht worden war.
    Schließlich öffnete Jo das Glas mit der Asche und verteilte den Inhalt auf dem Fußboden vor der Muttergottes. Wenn Claire vor Jungfrau niederknien würde, um ihre Brautkerze zu entzünden, würde sich die Schleppe ihres Kleides um sie ausbreiten wie Blütenblätter, und dann würde sie mit schmutzigen Knien wieder aufstehen, gezeichnet von den Spuren des Feuers.
    Den Rest des Vormittags fuhrwerkte Jo im Haus herum, wühlte in Bergen von Kram und war dabei so durcheinander wie ein verworrenes Telefonkabel. Irgendwann hatte Mama davon die Nase voll. »Jetzt geh schon«, knurrte sie und nahm Jo eine verbeulte Ölkanne ab. »Geh und sieh zu, wie deine Schwester heiratet.«
    Jo legte ihr die Hand auf die schmale Schulter. »Ich erzähl dir dann nachher, was sie anhatte«, versprach sie, und Mama nickte.
    »Das wäre schön.«
    Als Jo an die trüben Kirchenfenster herantrat und hineinschaute, hatte die Zeremonie bereits begonnen. Mit geneigtem Haupt stand Claire in einer Wolke aus Satin und Spitze vor dem Altar. Whit war ein frommer Mann, daher kam ihre Schwester seit der Verlobung mit ihm wieder zur Messe. Aber sie im Brautkleid an der Seite eines anderen Mannes als Ethan zu sehen und die Worte des Gebetes aus ihrem Munde zu hören, die sie so sehr verabscheute, war für Jo dennoch ein Schock.
    Claires alte Schulfreundinnen Cecilia West und Katy Diamond standen in hässlichen Satinkleidern mit glänzenden Augen neben ihr, und in den Kirchenbänken entdeckte Jo lauter vertraute Gesichter: Mr Upton, Mr Hopper vom Imbiss, sogar diese schreckliche Agnes Greene, die Claire in der Schule immer wegen ihrer Kleider gehänselt hatte. Jetzt hingegen bestaunte sie die riesigen Diamanten, die Claire am Finger tragen würde. Ihre Schwester war keine strahlende Braut. Sie bewegte sich langsam und steif, so als ob ihr schon beim Betreten von St. Agnes das Blut in den Adern gefroren wäre – und genau das wünschte Jo ihr auch.
    Claire sah Whit nicht an, als er ihr den mit Diamanten besetzten Ring auf den Finger schob und Pater Flynn sie dann zu Mann und Frau erklärte. Als Whit den Schleier zurückwarf, um sie zu küssen, hielt sie die Augen geschlossen. Wahrscheinlich stellte sie sich vor, Ethan wäre an seiner Stelle. Einmal bemerkte Jo, dass Claire zur Muttergottes mit ihren neuen Attributen hinübersah und sich ein sorgenvoller Blick über ihre Züge legte.
    Als alles vorbei war, trat Claire genauso bleich aus der Kirche, wie sie angekommen war. Niemand warf Reis, keiner der Gäste jubelte, und es gab auch keine Musik, nur das wüste Rauschen der Atlantikbrise. Bevor sie noch irgendjemand entdeckte, schob sich Jo hinter die Kirche und lief dann zu Drake’s Beach hinunter, wo sie am Rande des Wassers entlangschlenderte und an den Tag zurückdachte, als Whit sie beim Graben nach Muscheln überrascht und gefragt hatte, wo die wohl herkamen. Wo war nur die Zeit geblieben? Hinter ihr näherten sich Schritte. »Asche zu Asche«, murmelte Pater Flynn und ging neben ihr her.
    Stirnrunzelnd sah Jo ihn an. Sie legte gerade wirklich keinen Wert auf Gesellschaft. »Was?«
    »Ich hab gesehen, dass das Kleid deiner Schwester leicht ruiniert war«, erklärte er und störte sich nicht daran, dass eine Welle nach dem Saum seiner Hose griff.
    Jo wich dem Wasser aus und trat in den Sand. »Sie selbst hat schließlich auch so einiges ruiniert.«
    Pater Flynn lief weiter mit ihr den Strand entlang. In seinen Augen stand eine Frage, die er jedoch nicht aussprach. Stattdessen faltete er die Hände und seufzte. »So, wie heute Morgen jemand Unsere Liebe Frau ruiniert hat.« Jo reagierte nicht, und zu ihrer großen Überraschung ließ Pater Flynn das Thema fallen. Offensichtlich mag er Unsere Liebe Frau noch weniger als ich, dachte Jo, und das wollte schon

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