Das Geheimnis der Schnallenschuhe
an.» Er machte eine Pause und sagte: «Ich bin mehr denn je überzeugt, Poirot – das war kein Selbstmord.»
Sie bezahlten das Taxi und betraten das Savoy. Japp fragte nach Mr Amberiotis.
Der Empfangschef sah die beiden Männer sonderbar an: «Mr Amberiotis? Tut mir Leid, Sie können nicht mit ihm sprechen.»
«Doch, doch, das kann ich», erklärte Japp grimmig und zog seinen Ausweis hervor.
Höflich antwortete der Empfangschef: «Sie haben mich missverstanden, Sir. Mr Amberiotis ist vor einer halben Stunde gestorben.»
3
V ierundzwanzig Stunden später rief Japp bei Poirot an.
Seine Stimme klang enttäuscht: «Unser ganzer Fall ist geplatzt!»
«Was meinen Sie damit, lieber Freund?»
«Morley hat tatsächlich Selbstmord begangen. Wir haben das Motiv herausgefunden.»
«Und zwar?»
«Ich habe eben den ärztlichen Bericht über den Tod von Amberiotis bekommen. Wenn man alle komplizierten Fachausdrücke weglässt, dann ergibt sich, dass der Mann an einer Überdosis Adrenalin und Procain gestorben ist. Die Mittel haben auf das Herz gewirkt und den Tod herbeigeführt. Als der arme Teufel gestern Nachmittag sagte, er fühle sich sehr schlecht, sprach er die reine Wahrheit. Nun, da kann man nichts machen. Die Einspritzung, die der Zahnarzt zur örtlichen Betäubung ins Zahnfleisch macht, ist eine Mischung aus Adrenalin und Procain. Morley muss sich geirrt und eine zu große Dosis gespritzt haben. Nachdem Amberiotis fort war, wurde ihm klar, was er angerichtet hatte, und da erschoss er sich eben.»
«Mit einer Pistole, die er nicht besessen hat?»
«Vielleicht hat er sie doch besessen. Verwandte wissen nicht immer alles. Sie würden sogar erstaunt sein, wenn Sie wüssten, wie viele Dinge Verwandte nicht wissen!»
«Ja, das mag stimmen.»
«Damit ist die Sache erledigt», sagte Japp. «Die Angelegenheit hat sich vollkommen logisch aufgeklärt.»
«Davon», entgegnete Poirot, «bin ich gar nicht überzeugt. Es ist zwar richtig, dass Patienten in einzelnen Fällen auf die Lokalanästhesie ungünstig reagiert haben. Überempfindlichkeit gegen Adrenalin ist eine wohl bekannte Erscheinung. In Verbindung mit Procain besitzen manchmal ganz kleine Dosen schon eine starke toxische Wirkung. Aber der Arzt oder Zahnarzt, dem so etwas passiert, geht doch nicht so weit, sich umzubringen!»
«Ja, aber da sprechen Sie von Fällen, in denen die Mittel in normaler Dosis angewendet worden sind. In solchen Fällen kann dem Arzt kein besonderer Vorwurf gemacht werden, denn der Tod wird dadurch herbeigeführt, dass der Patient die Mittel nicht verträgt. In unserm Fall handelt es sich aber eindeutig um eine zu große Dosis. Die genaue Menge steht noch nicht fest – diese Mengenanalysen dauern immer endlos –, aber jedenfalls ist die normale Dosis bei weitem überschritten worden. Das bedeutet, dass Morley einen folgenschweren Irrtum begangen haben muss.»
«Aber selbst dann», sagte Poirot, «war es nur ein Irrtum und kein Verbrechen.»
«Nein, das nicht, aber es hätte ihm beruflich sehr geschadet. Wahrscheinlich hätte es ihn sogar ruiniert. Niemand würde mehr zu einem Zahnarzt gehen, der fähig ist, einem Patienten eine tödliche Dosis Gift beizubringen, nur weil er zufällig gerade ein bisschen zerstreut ist.»
«Es ist schon merkwürdig, das gebe ich zu.»
«Solche Dinge kommen eben vor – sowohl bei Ärzten wie bei Apothekern. Jahrelang sind sie gewissenhaft und zuverlässig – dann auf einmal ein Augenblick der Unachtsamkeit, und das Unglück ist geschehen, und der arme Teufel hat die Folgen zu tragen. Morley war ein sensibler Mensch. Bei den Ärzten ist meistens ein Laborant oder ein Apotheker mitverantwortlich – oft sogar allein verantwortlich. In unserem Fall trug Morley die ganze Verantwortung.»
Poirot war noch nicht überzeugt.
«Hätte er dann nicht irgendeine Mitteilung hinterlassen, um zu erklären, was geschehen war? Und dass er die Folgen nicht auf sich nehmen könne? Nur ein paar Worte in diesem Sinne? Eine Nachricht an seine Schwester?»
«Nein – wie ich die Sache sehe, wurde ihm ganz plötzlich klar, was er angerichtet hatte, und da verlor er die Nerven und suchte den einfachsten Ausweg!»
Poirot antwortete nicht, und Japp sagte gütig: «Ich kenne Sie, alter Freund. Wo Sie einmal einen Mord ahnen, können Sie sich nicht damit abfinden, dass es keiner war. Diesmal bin ich daran schuld, dass Sie auf die falsche Spur geraten sind. Ich habe mich eben geirrt, das gebe ich offen
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