Das Geheimnis der schönen Catherine
drückte ihr die Karte in die Hand und ging mit der Miene eines Mannes davon, der seine Pflicht getan hatte. Sie blickte auf die Tanzkarte. Er hatte sich nicht nur für einen Tanz, sondern auch noch für den Walzer vor dem Souper eingetragen. Das hieß also, dass er sie zum Essen begleiten wollte. Sehr merkwürdig. Und noch immer wusste sie nicht, wer er war. Wie hieß er denn nun? Mühsam entzifferte sie seine Unterschrift, Buchstaben für Buchstaben.
»Devil«, der Teufel? Hatte sie richtig gelesen? Verblüfft sah sie ihm nach. Wer war dieser Mann? Und warum kam er ihr bekannt vor? Und warum hatte er von allen Debütantinnen ausgerechnet sie zum Tanzen aufgefordert? Wenn er seine Zukünftige auf diese Weise aussuchen wollte, war er ein außergewöhnlicher Mann. Er hatte sie kaum angesehen, ihr nur einen einzigen durchdringenden Blick zugeworfen. Catherine wusste aus Erfahrung, dass die Männer, welchem Kulturkreis sie auch entstammen mochten, dem äußeren Erscheinungsbild der Frau, die sie zu heiraten gedachten, große Bedeutung beimaßen. An manchen Orten inspizierten sie vor der Ehe sogar die Zähne ihrer Verlobten. Nicht dass Catherine es sich gefallen lassen hätte, wie ein Pferd auf dem Markt begutachtet zu werden, aber ein bisschen Interesse wäre nicht fehl am Platze gewesen … Sie bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Im Gegensatz zu den übrigen Debütantinnen war sie nicht hier, um sich einen Mann zu angeln. Sie war hier, um das Versprechen einzulösen, das sie ihrem Vater gegeben hatte, um die Familienehre der Smiths wieder herzustellen. Alles andere hatte sie nicht zu interessieren. Dennoch sah sie ihm neugierig zu, wie er sich durch die Menge kämpfte und sich schließlich zu einer Dame gesellte, die am Rand der Tanzfläche stand. Er neigte den Kopf und flüsterte der Dame etwas zu. Empört starrte die Frau ihn an und drehte ihm dann den Rücken zu. Lady Norwood, die Mutter von Lord Norwood. Verblüfft sah Catherine, wie Lady Norwood davoneilte und ihr Tanzpartner wieder in der Menge verschwand. Was ging hier vor? Lady Norwood war Witwe und laut Rose Singleton berüchtigt wegen ihrer Vorliebe für Wüstlinge und Tunichtgute. War der Hüne einer ihrer Freunde? Hatten sie sich gerade gestritten? In welche Kategorie er wohl fiel, Tunichtgut oder Wüstling? Und warum war Lady Norwood so wütend auf ihn? Obwohl sie nicht wusste, warum, fühlte sich Catherine auf einmal lebendiger als je zuvor. Das simple gesellschaftliche Ereignis war zu einem äußerst interessanten Erlebnis geworden.
»Devenish, alter Junge! Dass ich Sie hier treffe! Ich dachte, Sie ziehen das Landleben vor?« Catherine, die an einer Säule lehnte, zuckte bei diesem lautstarken Ausruf zusammen und drehte sich unwillkürlich um, konnte den Sprecher aber nicht sehen. Sie spitzte die Ohren und nippte weiter an ihrem süßen Ratafia. »Grauenvoll langweilig hier, nicht wahr? Wenn ich gewusst hätte, dass so viele Wickelkinder anwesend sein würden, wäre ich nicht gekommen. Himmel! Seit wann werden denn schon Säuglinge verheiratet, erklären Sie mir das mal, Devenish!« Eine andere Stimme meinte trocken: »Ich fürchte, nicht die Debütantinnen werden jünger, Marsden, sondern …« Marsden! Ihr Vater hatte einen Marsden erwähnt … Catherine schob sich weiter vor und lauschte nun unverhohlen. »Erinnern Sie mich bloß nicht daran! Schlimm genug, dass ich schon seit fünfzehn Jahren in Ketten liege – seit fünfzehn Jahren! Unglaublich, oder?« Marsden seufzte tief. »Ich bin nur hier, weil ich meiner Frau versprochen habe, dass wir dieses Ereignis in London feiern. Feiern! Und dann auch noch bei einem von Fanny Parsons langweiligen Bällen! Gott steh mir bei – mir ist mehr nach einer Trauerfeier zu Mute.« Ein mitfühlendes Geräusch war die Antwort. »Sagen Sie mal, Devenish«, hieß es dann, »Sie hätten nicht zufällig Lust, sich mit mir auf eine Runde Whist zu White’s zu verdrücken?« Der andere lachte. »Verlockender Vorschlag, aber es geht leider nicht. Ich bin für den nächsten Walzer vergeben.«
»Was? An wen?« fragte der Sprecher namens Marsden überrascht und fügte hinzu:
»Ich hätte ja nicht gedacht, dass Sie so tief sinken würden.« Eine kleine Pause entstand. »Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie wirklich mit einem dieser Mädchen in Weiß tanzen wollen? Tun Sie es nicht, alter Junge! Ich sage Ihnen, Sie werden es bereuen. Ein unbedachtes Wort – und, zack, schnappt die Falle zu.«
»Wäre
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