Das Geheimnis der schönen Catherine
hier?« Amelia zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Nein, sie ist nicht hier.«
»Sie war doch nicht etwa das kleine dunkelhaarige Ding, mit dem Thomas den Cotillon getanzt hat?«
»Das ist bestimmt irgendein anderes Mädchen gewesen.« Hugo lächelte. »Ich denke, dass ich mir als Thomas’ Vormund und einziger männlicher Verwandter das Mädchen ansehen muss.« Er drehte sich um. »Hugo, du wirst dich diesem Mädchen nicht nähern, hast du gehört?« rief Amelia entsetzt. »Das verbiete ich dir! Du wirst alles verderben!«
Kapitel 2
»Miss Singleton?« Catherine drehte sich hastig um, als ihr bewusst wurde, dass jemand sie angesprochen hatte. Es gab immer noch Augenblicke, in denen sie vergaß, dass sie jetzt Miss Singleton hieß. Ein dunkelhaariger Mann stand vor ihr. Der eindrucksvolle Herr von vorhin.
Du lieber Himmel, dachte Catherine. Aus der Nähe wirkte er noch eindrucksvoller. Noch größer. Dunkler. Kühler. Er musterte sie mit einer merkwürdigen Mischung aus Desinteresse und kalter Neugier. Catherines Puls beschleunigte sich. Unwillkürlich musste sie schlucken.
Einen Moment war ihr, als hätte sie ihn schon einmal gesehen. Wer war er? Warum sah er sie so an? Kannte er sie von irgendwoher? »Dürfte ich um einen Tanz bitten, Miss Singleton?«
Das war keine Bitte, sondern eine Forderung. Catherine gefiel sein Tonfall nicht. Sie hob den Kopf, bedachte den Gentleman mit einem kalten Blick und zog fragend die Augenbrauen hoch. Schließlich konnte sie nicht mit jemandem sprechen, der ihr noch nicht vorgestellt worden war. »Aber natürlich«, erwiderte Rose Singleton an ihrer Stelle, lächelte und nickte Catherine zu. Schweigend zückte Catherine ihre Tanzkarte und versuchte, über seine schwarzen Haare hinweg den Namen zu entziffern, den er auf die Karte setzte. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Als er ihr die Karte zurückgab, stellte sie überrascht fest, dass seine Hände zwar sehr wohlgeformt, aber schwielig und rau waren. Gentlemen pflegten ihre Hände, wie das auch ihr Vater getan hatte; viele von ihnen hatten Hände, die genauso weich waren wie Catherines – in der Regel weicher, denn sie hatte schon öfter hart arbeiten müssen.
Das war interessant. Sie machte einen Schritt zurück und betrachtete ihn verstohlen. Er wirkte unnahbar. Und er machte auch keine Konversation mit ihr. Offenbar wollte er nur mit ihr tanzen. War er trotz seiner imposanten Erscheinung unbeholfen und schüchtern? Oder war das pure Arroganz? Als er sich ihres prüfenden Blicks bewusst wurde, flackerte etwas in seinen grauen Augen auf. Einen langen Moment hielt er ihrem Blick stand, dann wandte er die Augen ab und lächelte. Catherine spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Was für Gefühle auch immer er haben mochte – schüchtern war er ganz sicher nicht. Catherine hatte in London noch keinen Gentleman mit solch breiten Schultern gesehen. Wie die Mandarine in China, die Paschas in der Türkei und die Mitglieder der höchsten Kasten in Indien und Java versuchten auch die Herren in London so zu wirken, als hätten sie in ihrem Leben nie etwas Schwereres als einen Löffel heben müssen – vorzugsweise einen goldenen. Wenn sie die Wahl hätte zwischen wattierten Gehröcken und Muskeln … Catherine überlegte. Auch wenn die modischen Londoner glaubten, dass ein Gentleman nicht Schultern wie ein Dockarbeiter haben sollte – sie fand daran nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Und das düstere Schweigen, das ihn umgab, stachelte ihre Neugier an. Flüchtig kam ihr in den Sinn, dass dies vermutlich genau der Typ Mann war, vor dem Rose Singleton sie gewarnt hatte: ein erfahrener Mann, der die Gefühle eines jungen Mädchens durcheinander bringen konnte. Allerdings hatte er nicht versucht, sich bei ihr einzuschmeicheln oder sie für sich einzunehmen. Dabei war Catherine sich sicher, dass ein Wüstling genau das tun würde, denn wie sonst sollte er sein Ziel wohl erreichen? Sein Benehmen hatte eher … Catherine überlegte. Geschäftsmäßig hatte es gewirkt, befand sie mit einiger Überraschung. Ja, er benahm sich ihr gegenüber geschäftsmäßig. Eigenartig. Plötzlich fiel ihr ein, dass er vielleicht eine Frau suchte. Manche Männer betrachteten die Ehe als ein Geschäft … Sie schluckte und verscheuchte den Gedanken energisch. Sie war nicht auf der Suche nach einem Ehemann. Andererseits war er sehr beeindruckend. Und sie freute sich darauf, mit ihm zu tanzen. Er sah auf, runzelte die Stirn,
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