Das Geheimnis der schönen Catherine
gar nicht ein. Langsam trank Catherine ihr Wasser aus. Schließlich meinte sie, bemüht, die sich anbahnende Katastrophe abzuwenden: »Sie denken also, ich sei in Gefahr? Dass der Chinese mir oder meiner Tante etwas stehlen wird …«
»Das denke ich nicht! Ich glaube, Sie haben mich vorhin schon richtig verstanden.«
»Aber …« Er erhob sich. »Wenn Sie sich erholt haben, Miss Singleton, sollten wir in den Ballsaal zurückkehren. Der Walzer wird gleich beginnen. Ich möchte ungern die Gelegenheit versäumen, mit Ihnen zu tanzen.« Catherine zögerte und stand dann auf. Sie musste Mr. Devenish unbedingt davon abbringen, dass es zwischen ihr und dem Chinesen eine Verbindung gab.
Oder auch zwischen ihr und den Einbrüchen. Gleichzeitig war ihr klar, dass sie die Sache nicht in einem überfüllten Speiseraum ausdiskutieren konnten. Mr. Devenish hatte sich für den nächsten Tanz eingetragen. Nun, sie würde darauf bestehen, dass sie sich stattdessen setzten und wie zivilisierte Menschen miteinander redeten. Schon erklangen die ersten Takte des letzten Walzers. Nein, auf keinen Fall würde sie jetzt ausgerechnet Walzer mit ihm tanzen. Sie wusste, dass es töricht war, überhaupt mit ihm zu tanzen. Es war viel besser, sich hinzusetzen und zu plaudern. Gebieterisch streckte er ihr die Hand hin. Es war eine sehr schöne Hand, breit, mit langen Fingern, ein wenig abgearbeitet. Ohne ein weiteres Wort ließ Catherine sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Er zog sie in die Arme, diese starken, sicheren Arme, und Catherine schloss die Augen. Willenlos ließ sie sich von der Musik und dem Zauber des Augenblicks davontragen. Dieser Mann … Seine warme Hand lag auf ihrer Taille. Die Berührung brannte noch durch das Kleid hindurch. Mit der anderen Hand hielt er ihre Rechte besitzergreifend umschlossen. Er wirbelte sie mit einer Gewandtheit über die Tanzfläche, die schon an Arroganz grenzte, und sie hatte das Gefühl, als schwebte sie. Sie musste gar nicht an die Schrittfolge denken, er führte sie; sie brauchte nichts weiter zu tun, als sich der Musik hinzugeben und ihm zu vertrauen. Sie roch den schwachen Duft der Seife, die er benutzte, den Duft von frisch gewaschenem, heiß gebügeltem Leinen. Er schien gar nicht auf seine Schritte achten zu müssen; stattdessen sah er ihr tief in die Augen und zog sie fester an sich. Die Musik war melodisch und verführerisch. Catherine begann sich im träumerischen Wirbel eines magischen Moments zu verlieren.
Denn es war ein Traum. Für Catherine konnte es nie etwas anderes sein. Daheim wartete Maggie schon auf sie. »Und, wie ist es gelaufen?« Catherine sah, wie müde ihre Kammerzofe war. »Ich habe dich doch gebeten, nicht auf mich zu warten, Maggie! Ich kann mich auch alleine ausziehen und die Kleider wegräumen. Warum bist du noch auf?« tadelte sie die ältere Frau liebevoll. »Sie wissen genau, warum«, war die grimmige Antwort. »Nun, es ist nichts passiert, und ich werde mich jetzt schnurstracks ins Bett legen, du kannst also ganz unbesorgt schlafen gehen.« Das war nicht direkt gelogen. Es war schlimm genug, dass Maggie erraten hatte, was Catherine vorhatte; sie wollte sie nicht noch tiefer in die Sache verwickeln. Maggie musterte sie weise. »Irgendetwas ist passiert. Sie sehen so strahlend aus.« Catherine hoffte, dass sie nicht errötete. Nach dem wundervollen Walzer war sie mit Rose nach Hause gefahren, noch immer ganz aufgelöst und verwirrt. Sie träumte vor sich hin, wundervolle Wachträume. Alles war anders in ihren Träumen: Sie konnte in England bleiben und sich wie ein ganz normales Mädchen umwerben lassen … Und dann hatten sie die Dorset Street erreicht.
Als sie aus der Kutsche gestiegen und zur Haustür gegangen waren, hatte Catherine Mr. Devenishs Stallknecht im Schatten stehen sehen. In diesem Moment hatte sie die ganze furchtbare Realität eingeholt: Sie stand immer noch unter Beobachtung. »Strahlend? Aufgebracht bin ich, Maggie. Dieser furchtbare Mr. Devenish hat so gut wie zugegeben, dass er mich verfolgt. Er behauptet, mein Schutzengel zu sein, aber ich habe ein anderes Wort dafür – ein Spion.« Sie erwähnte nicht, dass Mr. Devenish eine Verbindung zwischen ihr und dem Chinesen entdeckt hatte. Maggie gab ein unbestimmtes Geräusch von sich und räumte die Kleidungsstücke auf, die Catherine ablegte. Die junge Frau fuhr fort: »Als ob ich einen Schutzengel brauchte! Ich! Wo ich mich seit Jahren hervorragend um mich selbst kümmere! Hast du
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