Das Geheimnis der schönen Catherine
genug für eine Frau. In dem Alter hat man keine Träume mehr. Ich war nie verheiratet, und es wäre albern von mir, daran auf meine alten Tage noch etwas ändern zu wollen.« Wieder errötete sie und wandte sich von Catherine ab. Catherine musste sich bemühen, ernst zu bleiben. Da also lag der Hase im Pfeffer! Sie konnte sich kaum an Maggies letzten Verehrer erinnern, sie wusste nur noch, dass die Zofe kurzen Prozess mit ihm gemacht hatte. Dabei war sie weder errötet, noch hatte sie immer wieder ihr Desinteresse beteuert. Maggie hatte den Verehrer mit harten Worten davongeschickt, und der Arme war derart niedergeschmettert gewesen, dass er nie wieder etwas von sich hatte hören lassen. Jetzt aber war ihre Kammerzofe verliebt, wenn Catherine sich nicht täuschte. Catherine beschloss, sich diesen Griffin bei Gelegenheit näher anzusehen. Offenbar war er ein Mann, mit dem man rechnen musste. In den ganzen sieben Jahren, die sie zusammen durch die Welt gereist waren, hatte sie Maggie niemals so verlegen erlebt. Es schien, als brachte sie allein der Gedanke an den großen, schweigsamen Stallknecht aus der Fassung. Oh ja, ihre liebe, treu ergebene, praktisch veranlagte, arbeitsame Maggie war tatsächlich schwer verliebt. »Gute Nacht, meine liebe Maggie. Und träum süß von deinem Galan«, flüsterte sie.
»Ach, nun hören Sie aber auf«, sagte Maggie barsch. »Gute Nacht.« Catherine schlüpfte ins Bett, während die Kammerzofe den Raum verließ. Maggie soll ihren Griffin heiraten, schwor Catherine sich. Sie würde das schon irgendwie arrangieren. Ein dunkles, ernstes Gesicht trat vor ihr inneres Auge. Ein fester Mund, der nicht zum Lächeln neigte, kühle graue Augen … die sie aber ganz und gar nicht kühl betrachteten … Catherine drehte sich auf die andere Seite und knautschte das Kopfkissen in Form. Sie hatte doch an Maggie denken wollen, an Maggie und Griffin. Nicht an … einen anderen.
Wenn alles vorbei war, würde sie ohnehin nach Italien gehen. Sie hatte keine andere Wahl – sie konnte nicht in England bleiben, obwohl sie es gern getan hätte. So gern wäre sie in England geblieben. Aber es war nun einmal nicht möglich. Sie sollte gar nicht erst darüber nachdenken. Nicht, dass er … Nein! Sie würde nicht überlegen, wie sie die Hindernisse aus dem Weg räumen könnte. Mr. Devenish war nichts als ein herrschsüchtiger Mensch, der beschlossen hatte, ihr überallhin zu folgen und sich in ihr Leben einzumischen, wo es nur ging, weil er nichts Besseres zu tun hatte. Sobald sie nach Italien abgereist war, würde er sie vergessen, sich ein anderes Mädchen suchen, dem er überallhin folgen konnte, eines von diesen engelsguten, wohlerzogenen, tugendhaften englischen Mädchen, nicht eine unbekannte Abenteuerin wie sie. Und eine andere würde es freuen, nicht ärgern, wenn ihr jemand so viel Aufmerksamkeit entgegenbrachte wie Mr. Devenish ihr. Die meisten Frauen würden es vermutlich genießen, von einem großen, gut aussehenden Mann beschützt zu werden …
Und dann würde Mr. Devenish die wohlerzogene Engländerin heiraten und sie mit in sein hübsches Haus nach Yorkshire nehmen und … und dann würde er mit ihr Walzer tanzen … Catherine drehte sich wieder um. Tränen quollen ihr aus den Augen. Sie fühlte sich völlig erschöpft. Dabei hatte sie morgen so viel vor. Ein dünner Schemen bewegte sich durch die Dunkelheit und sprang leichtfüßig über das Ziegeldach des Stadthauses der Familie Brackbourne. Der ungebetene Gast spähte über den Dachrand hinab auf den Erdboden, vier Stockwerke tiefer. Von seiner kleinen schwarzen Kappe baumelte ein langer schwarzer Zopf. Ein sehr dünnes, aber festes Seil wurde über das Dach hinuntergelassen und geräuschlos ausgerollt, bis das Ende über einem der Balkone im zweiten Stock hing. Der Eindringling prüfte das Seil, dann glitt er vorsichtig über den Dachrand, wand sich das Seil um einen Fuß und glitt wie ein Zirkusartist langsam daran herunter, bis er sanft auf dem Balkon landete. Der Balkon mit seiner hübschen Steinbrüstung und den Marmorplatten lag vor einer großen Balkontür, die zum Arbeitszimmer des Hausherrn führte. Der Einbrecher versuchte die Türklinke herunterzudrücken, doch vergebens. Darauf zog er ein Bündel merkwürdig aussehender Metallstäbe heraus, die leise aneinander schlugen. Er steckte erst den einen, dann einen anderen ins Türschloss.
Es gab ein leises Klicken, und das Schloss war offen. Die beiden Türriegel verursachten eine
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