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Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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anders, sondern auch noch dumm.«
    »So weit bin ich auch gekommen.« Mrs Ivers holte ein großes Notizbuch mit schwarzweißem Einband aus ihrer Tasche und schob es über den Tisch. »Deshalb gebe ich Noah eine letzte Chance, den Kurs abzuschließen. Wenn er den Sommer über dieses Notizbuch mit ernsthaften Schreibversuchen füllt, gebe ich ihm die Zulassung zur Senior-Highschool.«
    Vivi Ann spürte, wie in ihr Dankbarkeit gegenüber ihrer einstigen Lehrerin aufwallte, über die sie sich oft lustig gemacht hatte. »Vielen Dank.«
    »Warte es erst mal ab. Noah wird sich sehr anstrengen müssen. Ich verlange, dass er den ganzen Sommer über acht Seiten pro Woche schreibt. Jeden Montag treffen wir uns, damit ich ihm das Thema der Woche nennen kann. Wir fangen nächste Woche vor der Schule an. Sagen wir: Montag, zehn vor acht in meinem Klassenraum? Ende August werde ich seine Arbeit benoten. Ich lese seine Einträge nur, um sicherzustellen, dass er sie selbst verfasst hat. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    »Vollkommen klar.«
    Da endlich lächelte Mrs Ivers, wenn auch etwas traurig. »Es ist bestimmt nicht leicht für ihn.«
    Die Vergangenheit war in einer Kleinstadt wie der ihren immer präsent, so wie die Erde unter einer dünnen Schicht Schnee. »Nein«, sagte Vivi Ann und nahm das leere Notizbuch. »Es ist nicht leicht.«
    Als Vivi Ann auf der Ranch ankam, war es fast Zeit für ihren Nachmittagsunterricht. Sie ging an der Arena vorbei, wo ihr Vater mit ein paar Freunden Lassowerfen übte. Die Arbeiter – die nur tagsüber auf Water’s Edge waren und nicht dort wohnten – kümmerten sich um die Schutzwände. Sie winkte kurz, ging ins Büro des Reitstalls und fing an, Flyer für die Cutting-Serie im nächsten Monat zu entwerfen.
    In den letzten Jahren war Water’s Edge zwar ziemlich erfolgreich, aber im Reitstall hatte sich nur wenig geändert. Die Arena hatte immer noch Reihen von Holztribünen und alte Gatter und Schutzwände für das Lassowerfen; drei große gelbe Fässer waren auf eine Seite gerollt; für den Barrel-Racing-Jackpot am Abend würden sie in die Arena gezogen werden. Im Stall hatten die Pferde den Boxen zugesetzt, wo sie nur konnten, und im Holz tiefe Spuren hinterlassen. In den Ecken hingen große Spinnweben und an den Wänden zahllose bunte Flyer mit Verkaufsangeboten, Unterrichtsstunden, Vereinen und Dienstleistungen von Tierärzten und Hufschmieden. Auch die Rodeotermine waren schon seit langer Zeit gleichbleibend. Vivi Ann führte immer noch mehrere Jackpots pro Monat und einen länger dauernden Barrel-Racing-Marathon durch, gab Reitunterricht und schulte Pferde. Zusätzlich dazu wurde die Arena regelmäßig für verschiedene Vereine und Events vermietet: Jugendgruppen, Pferdeschauen und Rettungsmannschaften. Einmal im Monat kamen behinderte Kinder zum Reiten. Der einzige Unterschied war nur, dass Vivi Ann nicht mehr selbst an Turnieren teilnahm. Sie hatte es nicht über sich bringen können, Clem zu ersetzen.
    Die nächsten vier Stunden arbeitete sie ununterbrochen. Nach Schulschluss tauchte die Jugendgruppe auf, und sie war umringt von Mädchen, die sich immer noch mehr für Pferde als für Jungen interessierten und hingebungsvoll übten, was sie ihnen beibrachte. In ihrer Gegenwart fühlte sie sich wie ein umschwärmter, angebeteter Rockstar. Sie wusste, schon bald wären diese Mädchen erwachsen, würden ihre Pferde verkaufen und den nächsten Schritt tun. Das war hier der Kreislauf des Lebens: Erst kamen die Pferde, dann kamen die Jungen und nahmen ihren Platz ein. Die Mädchen wurden zu Frauen und kehrten viel später mit ihren eigenen Töchtern zurück, und dann fing der Kreislauf von vorn an.
    Am Ende des Tages löschte Vivi Ann das Licht in der Arena, sah nach jedem einzelnen Pferd in den Boxen und ging dann hinunter zum Farmhaus, wo ihr Vater auf seinem Lieblingsschaukelstuhl saß. Wie in letzter Zeit üblich, verbrachte er den Abend nach einem langen Arbeitstag auf der Veranda, trank Bourbon und schnitzte an einem Stück Holz.
    In den letzten zehn Jahren war er merklich gealtert. Sein zerfurchtes Gesicht war mager geworden, und sein einst wilder Haarschopf war jetzt ein Flaum. Buschige weiße Augenbrauen wucherten über seinen dunklen Augen.
    Er war vierundsiebzig, bewegte sich aber wie ein uralter Greis. Er und Vivi Ann sprachen nie über die Ereignisse in der Vergangenheit, über das, was vor Jahren geschehen war und ihre Familie auseinandergerissen hatte.
    Sie unterhielten

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