Das Geheimnis der Schwestern
Idee.«
»Du hast schon mit ihr gesprochen?«
»Eigentlich war es ihre Idee.«
Jetzt saß Winona in der Falle. Eine Idee, die von der halben Familie geprüft und für gut befunden war, galt als angenommen. »Aber er muss seine Hose hochziehen – ich habe keine Lust, den ganzen Tag seine Unterhose zu sehen –, und an den Tagen, die er bei mir arbeitet, wäscht er sich die Haare.«
Noah knurrte. Sie wusste nicht, ob das als Zustimmung gemeint war.
Winona ging zu ihm und hörte, wie Vivi Ann ihr folgte. »Was hältst du von acht Dollar pro Quadratmeter?«
»Ist doch ein Hungerlohn.«
Vivi Ann gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. »Zweiter Versuch.«
»In Ordnung«, grummelte er und schob seine Hände noch tiefer in die Hosentaschen.
Jetzt befürchtete Winona ernsthaft, dass seine Jeans ihm bis zu den Fußknöcheln rutschen würden.
Es war eine schlechte Idee. Der Junge war genau wie sein Vater: ein Unruhestifter. Aber jetzt konnte sie nicht mehr zurück. »Gut. Er hat den Job. Aber wenn er nur einmal – ein einziges Mal – patzt, kümmerst du dich wieder um ihn. Ich bin schließlich kein Babysitter.«
Vivi Ann blickte Noah direkt an. »Wenn du ihn feuerst, macht er beim Stadtfest mit. Verstanden?«
Noah antwortete nicht, aber in seinem Blick loderte reinster Teenagerzorn.
Er hatte verstanden.
Zwanzig
WAS IST MIR WICHTIG ?
Noch so eine vollkommen hirnrissige Frage, Mrs I. Haben Sie sich irgendein altes Lehrbuch für Pädagogen geschnappt, um herauszufinden, wie man böse Jungs zum Reden bringt? Ich kann Ihnen sagen, was mir egal ist. Wie finden Sie das? Egal sind mir Oyster Shores und die Highschool und die anderen in meiner Klasse. Das Ganze ist nur eine riesige Zeitverschwendung.
Familienessen sind mir auch egal. Übrigens hatten wir gestern mal wieder einen echt tollen Abend im Hause Grey. Es läuft immer gleich ab. Tante Aurora prahlt mit ihren ach so tollen Kindern. Ricky ist der perfekte Collegestudent und Janie das reinste Wunderkind. Grandpa sitzt nur da und sagt kein Wort, während Tante Winona uns erklärt, wie super ihr Leben ist. Kein Wunder, dass Mom früher jeden Tag nur mit einem Haufen Tabletten durchstehen konnte. Aber das darf ich ja gar nicht wissen. Sie halten mich für dämlich. Als hätte ich früher nicht bemerkt, dass sie ständig weinte. Ich hab versucht, ihr zu helfen – das ist meine deutlichste Erinnerung aus meiner Kindheit. Aber sie hat mich entweder abgewehrt oder so fest an sich gedrückt, dass ich kaum noch Luft bekam. Irgendwann wusste ich, wie ihre Augen aussahen, wenn sie Pillen geschluckt hatte, und dann hielt ich mich von ihr fern. Jetzt tut sie so, als wäre alles wieder in Ordnung. Nur weil der Arzneischrank leer ist und sie nie mehr weint.
Mir ist noch was eingefallen, was mir egal ist. Tante Winonas dämlicher alter Anleger. Der ist voller Vogelscheiße, und natürlich bin ich derjenige, der sie abkratzen muss. Sie sollten mal sehen, wie sie mich beobachtet. Als würde ich jede Sekunde explodieren oder mit einem Messer auf sie losgehen. Früher mochte sie mich. Auch das weiß ich noch aus meiner Kindheit. Sie las mir Gutenachtgeschichten vor, wenn Mom aus war, und sah sich Disneyfilme mit mir an. Aber jetzt wahrt sie ständig Abstand und starrt mich an, wenn sie meint, ich würde es nicht bemerken.
Ich glaube, sie hat Angst vor mir. Vielleicht wegen neulich. Ich wurde bei einem Familienessen wütend und hab ein Glas an die Wand geschmissen. Das war an dem Tag, als Erik Junior mir steckte, mein Dad wäre ein Halbblut und ein Mörder. Ich hab’s nicht geglaubt, aber als ich nach Hause kam und meine Mom fragte, redete sie zwar endlos, aber ich erfuhr gar nichts.
Und da fragen sich alle, wieso ich immer wütend bin. Was erwarten sie denn, wenn Brian mich ständig Indie nennt und meint, man hätte meinen Dad auf den elektrischen Stuhl bringen sollen?
Am Freitag darauf ließ sich der Sommer zum ersten Mal blicken. Die Sonne spielte mit den Wolken Verstecken und ließ ihr helles Licht über den Rasen huschen, bis sie kurz nach Mittag schließlich herauskam und nicht mehr verschwand.
Winona schrubbte gerade eifrig den Küchenboden, als sie die Wetterveränderung bemerkte. Zuerst dachte sie sich nichts dabei, war eher überzeugt, dass es wahrscheinlich noch regnen würde, und arbeitete weiter. Doch als sie spürte, wie ihr der Schweiß auf die Stirn trat und ihr Hemd am Rücken zu kleben begann, stand sie auf und zog sich die Gummihandschuhe aus. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher