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Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Bitte abschlagen sollte. Es war so leicht, einfach nachzufragen, und wenn sie erst die Antwort für ihn herausgefunden hatte, würde er es vielleicht endlich – endlich – ruhen lassen. Das wäre weiß Gott das Beste für Vivi Ann und für Noah. Außerdem wusste sie genau, dass Dallas sich niemals damit einverstanden erklären würde. »Gut. Ich lese den Artikel und sehe die Akte durch. Aber versprechen kann ich nichts.«
    Noah lächelte so glücklich, dass sie den Blick abwenden musste. Wie oft und wie lange noch würde Dallas Raintree den Menschen weh tun, denen er am Herzen lag?
    Sie sagte noch einmal, und diesmal mit mehr Nachdruck: »Versprechen kann ich nichts.«
    Als eine Woche später die ersten Herbstblätter vor ihrem Fenster wirbelnd zu Boden fielen, schloss Winona ihre Bürotür, bat Lisa, keine Anrufe mehr durchzustellen, und machte sich daran, das Gerichtsprotokoll zu lesen, das sie angefordert hatte. Sie zog das siebzehnhundert Seiten umfassende Dokument auf ihren Schoß, setzte die Lesebrille auf, die sie mittlerweile brauchte, und begann mit der langwierigen und mühsamen Aufgabe, sich alle Zeugenaussagen des Prozesses anzusehen.
    Es war, als würde sie eine Tür zur Vergangenheit öffnen. Mit den Worten kehrte auch die Erinnerung daran zurück, wie sie im Saal gesessen und sich einen vernichtenden Beweis nach dem nächsten angehört hatte. Wie sie Vivi Ann beobachtet hatte, die sich so bemühte, stark zu bleiben, und wie sie der Staatsanwältin zugehört hatte, die sich so sicher war, das Recht auf ihrer Seite zu haben.
    Winona musste sich keine Notizen machen. Es war alles genau so, wie sie es in Erinnerung hatte: die Freundschaft zwischen Cat und Dallas, Vivi Anns Naivität, diese Freundschaft zu dulden, der Zufall, dass Dallas genau an dem Abend hohes Fieber hatte, als Cat umgebracht wurde. Und dann waren da die forensischen Beweise: die in Cats Bett gefundenen Haare, die unter dem Mikroskop mit denen von Dallas übereinstimmten, und seine Fingerabdrücke auf der Waffe. Trotz fehlender DNA -Nachweise hatte es am Ende keinerlei begründeten Zweifel gegeben.
    Noah wollte nicht begreifen, dass Dallas weder vorschnell verurteilt worden noch Opfer eines Verfahrensfehlers oder von Polizeiwillkür geworden war. Die Geschworenen hatten ihn aufgrund der überzeugenden Beweise verurteilt. Es war kein provinzieller Justizirrtum. Es war ein auf Fakten und Beweisen basierendes Urteil, wobei Myrtles Augenzeugenbericht sicherlich den Ausschlag gegeben hatte.
    Winona las diesen Abschnitt des Protokolls noch einmal, obwohl sie ihn ziemlich deutlich in Erinnerung hatte.
    HAMM : »Befindet sich der Ice Cream Shop in der Nähe von Catherine Morgans Haus?«
    MICHAELIAN : »Ja, man geht nur weiter den Weg hinunter. Um zu ihr zu kommen, muss man direkt an uns vorbei.«
    HAMM : »Bitte sprechen Sie lauter, Mrs Michaelian.«
    MICHAELIAN : »Oh. Ja. Verzeihung.«
    HAMM : »Haben Sie letztes Jahr an Heiligabend in Ihrer Eisdiele gearbeitet?«
    MICHAELIAN : »Ja. Ich wollte eine besondere Eistorte für die Abendmesse machen. Wie üblich war ich spät dran.«
    Winona überflog die Stelle.
    HAMM : »Haben Sie an diesem Abend irgendjemanden gesehen?«
    MICHAELIAN : »Es war gegen zehn nach acht. Ich wollte in Kürze aufbrechen, musste aber noch die Glasur fertigmachen. Da blickte ich auf und sah … sah Dallas Raintree auf dem Weg auftauchen, der zu Cats Haus führt.«
    HAMM : »Hat er Sie gesehen?«
    MICHAELIAN : »Nein.«
    HAMM : »Woher wussten Sie, dass es der Angeklagte war?«
    MICHAELIAN : »Ich sah ihn von der Seite, als er an einer Straßenlaterne vorbeiging, und erkannte seine Tätowierung. Aber ich wusste schon vorher, dass er es war, denn ich hatte ihn schon früher dort abends gesehen. Etliche Male. Das hatte ich auch Vivi Ann erzählt. Er war es. Es tut mir leid, Vivi Ann.«
    Winona schob den riesigen Stapel Unterlagen beiseite, stand vom Sofa auf und streckte sich, um die Verspannung in ihrem Rücken zu lösen. »Gott sei Dank.«
    Kein DNA -Test würde Dallas Raintree nach all den Jahren noch retten. Der war nur etwas für Unschuldige.
    Erleichtert (denn so ungern sie es zugab, so hatte Noah doch einen winzigen Zweifel in ihr gesät, was ihr gar nicht gefiel) ging sie zurück in die Küche und starrte in ihren Kühlschrank. Er war zwar voll, aber nichts sprach sie an. Ein rascher Blick auf die Uhr vom Herd zeigte ihr, dass es acht Uhr war.
    Vielleicht sollte sie einen kleinen Spaziergang zur Eisdiele machen.

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