Das Geheimnis der Schwestern
Ich meine es ernst. Wenn du Absolution wolltest, so hast du sie dir verdient. Jetzt fahr nach Hause und kümmere dich um meine Familie.« Damit verließ er den Raum.
Sie starrte ihm nach und spürte, wie heißer, ohnmächtiger Zorn in ihr hochkochte.
»Er irrt sich«, sagte sie zu dem Wachmann, der keinerlei Reaktion zeigte. »Ich habe nicht all das auf mich genommen, um am Ende nichts zu erreichen.«
Sie verließ das Gefängnis, ging zu ihrem Wagen und murmelte: »Er ist ein Zyniker. Natürlich geht er nach all dem, was er durchgemacht hat, immer vom Schlimmsten aus.« Sie malte sich bereits aus, wie sie beweisen würde, dass es gute Neuigkeiten waren.
Noah würde begeistert sein.
Sie würde sich auf das Gute konzentrieren. Optimismus war eine Frage der Entscheidung, und nun, da es wirklich darauf ankam, würde ihre Willenskraft sie nicht im Stich lassen.
Sie hatte bereits die Hälfte des Heimwegs hinter sich, als ihr Handy klingelte. Lisa wollte ihr mitteilen, dass die Staatsanwältin gerade angerufen hatte, um einzuräumen, dass Dallas in jener Nacht keinen Geschlechtsverkehr mit der Ermordeten gehabt habe, dennoch rücke sie nicht von der Überzeugung ab, dass er wirklich der Mörder war. Daher werde sie noch diese Woche den Antrag stellen, das Urteil aufrechtzuerhalten.
Möglicherweise, hatte die Staatsanwältin am Schluss gesagt, habe Dallas einen Komplizen gehabt.
Vivi Ann war gerade in der Küche des Farmhauses und bereitete einen Schmortopf zum Abendessen vor, als die Nachricht im Fernsehen kam. Sie hörte nur mit halbem Ohr hin, weil sie etwas vor sich hin summte ( Mamas, Don’t Let Your Babies Grow Up to Be Cowboys , obwohl es besser gewesen wäre, sich diesen Song aus dem Kopf zu schlagen), da fiel Dallas’ Name.
Langsam drehte sie sich um und stieß mit der Hüfte die Herdklappe zu. Als sie durch das Wohnzimmer marschierte, redete sie sich ein, ihre Fantasie sei mit ihr durchgegangen wie ein Wildpferd, aber als sie den Fernsehraum betrat und den Gesichtsausdruck ihres Vaters sah, wusste sie, dass sie sich nicht verhört hatte.
Ohne ein Wort nahm Vivi Ann die Fernbedienung und drückte den Wiederholungsknopf. Zum ersten Mal war sie dankbar, dass Winona ihren Vater zum Kauf eines hochmodernen Geräts überredet hatte.
Als sie auf Play drückte, erschien auf dem Bildschirm der Lokalreporter, der vor dem grauen, bedrohlich wirkenden Gefängnis stand. In der rechten oberen Ecke sah man ein Bild von Dallas – sein erkennungsdienstliches Foto.
»… Der DNA -Test legt nahe, dass Dallas Raintree nicht der Letzte war, der Sexualkontakt mit dem Opfer Catherine Morgan hatte. Winona Grey, die Vertreterin der Verteidigung, stand nicht für eine Erklärung zur Verfügung, aber Staatsanwältin Sara Hamm ist jetzt hier bei uns.«
Sara Hamm erschien im Bild. Sie wirkte älter und noch ehrfurchtgebietender. »Dies alles sind nur juristische Winkelzüge. Mr Raintrees Verurteilung erfolgte aufgrund unwiderlegbarer und eindeutiger Beweise. Da die DNA -Analyse beim Prozess nicht mal verwendet wurde, hat sie auch nichts mit dem Urteil zu tun. Daher ändert sich durch das Testergebnis nicht das Geringste. Allerdings geht die zuständige Polizei jetzt der Frage nach, ob Mr Raintree in der Nacht des Mordes an Miss Morgan nicht allein war.«
Der Reporter kam wieder in Sicht. »Das war Sara Hamm –«
Vivi Ann drückte auf den Aus-Knopf, worauf der Bildschirm schwarz wurde.
Ihr Vater widmete sich wieder dem Trinken. Die Eiswürfel klirrten, als er sein Glas zum Mund führte.
»Das war’s dann wohl«, sagte sie. Sie fühlte sich, als würde etwas von ihr abgezogen. Sie kam sich kleiner, substanzloser vor. Aber das war absurd. Schließlich hatte sie mit nichts anderem gerechnet. Sie war darauf vorbereitet gewesen.
»Gott sei Dank. Er hat uns nur Ärger gebracht.«
»Vielleicht haben wir ihm nur Ärger gebracht.«
Dad winkte verächtlich ab. »Er hat die Frau umgebracht, so einfach ist das. Und sein Sohn ist nicht viel besser.«
Diese Bemerkung schockierte Vivi Ann genauso wie seine Ohrfeige vor all den Jahren. Sie starrte den Mann an, den sie einst so geliebt hatte wie Dallas, wie Noah. Es war, als würde sie ihn zum ersten Mal richtig sehen.
Hatte sie sich früher etwas vorgemacht, oder hatte er sich wirklich verändert? War er durch Verlust oder Enttäuschung zu dem geworden, was er jetzt war? Sie wusste, was innere Leere bewirken konnte. »Du sprichst von meinem Sohn. Deinem Enkel.« Sie trat zu ihrem
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