Das Geheimnis der Schwestern
Limonade aus dem Kühlschrank und lehnte sich an die sonnenwarme Wand des Reitstalls.
Der Abstellplatz wimmelte von Menschen. Cowboys und ihre Familien waren damit beschäftigt, ihre Pferde zu verladen, Sattel- und Zaumzeug zu verstauen, Stühle einzupacken. Es hatte sich schon eine Schlange von Trucks mit Anhängern gebildet, die in einem stetigen Strom den Zufahrtsweg Richtung Stadt hinunterfuhren.
Der Jackpot dieses Tages war nicht nur gelungen, sondern ein durchschlagender Erfolg gewesen. Ein wahrer Triumph. Bei der letzten Zählung hatten sie weit über zweitausend Dollar Reingewinn gemacht. Und dabei waren die Einnahmen vom Snackverkauf nicht mitgezählt worden.
Winona kam zu Vivi Ann und lehnte sich gegen den Stall. Sie trank aus ihrem Plastikbecher einen Schluck Diätcola und sagte: »Du gehst mir aus dem Weg.«
»Und wenn schon. Du hast dich in letzter Zeit einfach mies benommen. Wäre es so schwer gewesen zu sagen: Gut gemacht, Vivi? Weiter so? Der Jackpot heute war einfach sensationell.«
»All das hätte ich zu dir gesagt … wenn du mir nicht aus dem Weg gegangen wärst.«
»Ich gehe dir nicht aus dem Weg. Ich will es nur nicht mehr von dir hören.«
»Was denn?«
»Das weißt du genau.«
»Er liebt dich«, sagte Winona leise, »und vielleicht sieht er deshalb nicht, dass was nicht stimmt. Aber ich sehe es.«
Genau das hatte Vivi Ann nicht hören wollen. »Ich heirate ihn doch, oder etwa nicht?«
»Ja, aber warum?«
»Fragst du das als seine Freundin oder als meine Schwester?«
»Gibt es da einen Unterschied?«
»Einen großen.«
Winona schien darüber nachzudenken, dann sagte sie: »Okay. Dann will ich mal eine Minute als deine Schwester sprechen. Und zwar über Dallas. Ich mache mir Sorgen –«
»Ach, du machst dir ständig Sorgen.« Vivi Ann löste sich von der Wand. »Ich muss los, Win. Der Trubel hier macht die Pferde unruhig.« Sie rannte fast zur Stalltür und stürzte hinein. An Clems Box angelangt, öffnete sie die Tür, ging hinein und drückte ihre Stirn an den weichen Hals der Stute. »Sie hat recht, Clem. Da stimmt was nicht, aber ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Ihr Pferd wieherte leise und stieß sanft gegen ihr Bein. Vivi Ann kratzte ihr die Ohren und flüsterte: »Ich weiß, mein Mädchen. Ich werde das Richtige tun.«
Dann verließ sie die Box, verriegelte sie und trat durch die Hintertür des Stalls ins dämmrige Abendlicht.
Renegade rannte wild am Koppelzaun entlang, bis er das eine Ende erreicht hatte, dann bremste er ab, drehte sich und galoppierte in die andere Richtung.
»Ganz ruhig, mein Junge«, sagte sie und ging zu ihm. »Ist schon gut. Das Roping ist vorbei. Bald ist es wieder ruhig.« Sie streckte den Arm aus, um seinen seidigen Hals zu berühren, aber er stieg hoch und wandte sich ab. »Ist schon gut, Junge«, beschwichtigte sie ihn.
»Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf«, sagte Dallas plötzlich leise hinter ihr.
Sie drehte sich um. Genau darauf war sie aus gewesen, deshalb war sie gekommen, obwohl sie es sich erst jetzt eingestand. Sie reckte kaum merklich das Kinn, ihm entgegen, und wartete …
Einen solchen Kuss hatte sie noch nie zuvor erlebt. Er hob sie in die Höhe, wirbelte sie herum und ließ sie wieder fallen. Sie klammerte sich an Dallas, wie sie sich seit ihrer Kindheit an keinen Menschen mehr geklammert hatte, als könnte nur er sie retten.
»Vivi Ann!«
Aus der Ferne, wie unter Wasser, hörte sie, wie jemand sie rief. Sie musste erst noch einmal ihren Namen hören, bevor sie wieder zu sich und in die Realität zurückkam.
»Ich muss gehen.« Sie schob Dallas von sich.
Er fasste sie am Ellbogen und hielt sie fest. »Ich will dich«, flüsterte er. »Und du willst mich.«
Sie riss sich von ihm los und rannte um den Reitstall herum. Auf dem Parkplatz davor warteten schon ihre Schwestern und Richard und Luke auf sie.
»Da bist du ja«, sagte Winona und blickte prüfend hinter sie. Hielt sie Ausschau nach Dallas? Hegte sie einen Verdacht? »Wir wollten zusammen ausgehen und den Erfolg des Jackpots feiern.«
»Oh.« Vivi Ann versuchte, ganz normal zu klingen. »Gute Idee.«
Später, kurz nach ein Uhr nachts, saß Vivi Ann, umrahmt von ihren Schwestern, auf der obersten Verandastufe. Sie war angenehm beschwipst, doch leider waren ihre Gedanken immer noch glasklar. »Wer trinkt mit mir Tequila?«
»Ich nicht, danke«, sagte Aurora. »Ich muss nach Hause. Richard hat gesagt, er würde auf mich warten.«
»Und du, Win?«,
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