Das Geheimnis der Schwestern
endlich gestrauchelt.
Dallas kam zu Vivi Ann auf die Veranda.
Sie wandte sich zu ihm. Sie zitterte und hatte Tränen in den Augen, aber gleichzeitig fühlte sie sich erleichtert. »Jetzt brauchen wir uns nicht mehr zu verstecken. Ich erzähle es Luke, dann ist alles ausgestanden.«
»Du träumst wohl. Wahrscheinlich fährt Winona direkt zu ihm.«
»Nein, das würde sie nicht tun. Sie ist doch meine Schwester.«
Er berührte ihr Gesicht. »Du irrst dich.«
Sie küsste ihn sanft. »Du brauchst nicht so besorgt zu gucken. Es kommt schon alles in Ordnung. Ich werde mit Luke reden und bin in null Komma nichts wieder da. Du bist doch hier, oder?«
»Ich bin hier«, versprach er, wirkte aber gar nicht glücklich.
Winona fuhr nach Hause und schenkte sich ein großes Glas Tequila ein, das sie sofort hinunterkippte. Dann genehmigte sie sich ein zweites und ein drittes Glas.
Es war vorbei.
Endlich.
Vivi Ann würde Luke verlieren. Garantiert.
Außer sie log ihn an. Als dieser Gedanke in ihr Bewusstsein sickerte, wurde ihr leicht übel – es stimmte: Ihre allseits beliebte, tolle Schwester konnte immer noch das tun, was sie schon immer getan hatte: lächeln, die Schultern zucken und damit durchkommen. Wenn Dallas sofort verschwände, könnte Vivi Ann Luke immer noch heiraten, und alles würde vollkommen normal erscheinen. Dad würde seine perfekte jüngste Tochter den Kirchengang hinunterführen und an Luke übergeben, und der würde ihre Hand nehmen, seinen Ring an ihren Finger stecken und ihr ewige Liebe schwören. Und niemand würde je die Wahrheit erfahren.
Winona stand auf, durchmaß mit großen Schritten das Zimmer und versuchte, alles zu durchdenken, aber der Tequila erschwerte das. Was sollte sie jetzt tun? Sie war so in ihre Überlegungen versunken, dass sie kaum die Türklingel hörte, und auf einmal stand Luke vor ihr.
Winona erstarrte. Ihn ausgerechnet jetzt zu sehen, mit seinem strahlenden, aufrichtigen Lächeln, war mehr, als sie verkraften konnte. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen und konnte es ihm doch nicht zeigen – trotz Vivi Anns schändlichen Verhaltens. Schließlich waren sie Schwestern.
Er zog sie in die Arme und drückte sie an sich, als meinte er es nicht nur freundschaftlich. »Du hast ja getrunken«, flüsterte er lächelnd. »Ich dachte, du wartest auf mich.«
Sie blickte zu ihm auf. »Ein bisschen.« In einem Anflug von Wagemut streckte sie die Hand aus und berührte sein Gesicht. So lange schon hatte sie ihn berühren wollen. »Du bist zu mir zurückgekommen.«
Er lächelte. »Ich war auf der Suche nach Vivi. Hast du sie gesehen?«
Wieder mal Vivi.
Sie löste sich von ihm und kämpfte gegen ihre Tränen. Es tat so unendlich weh, und sie hatte es satt, immer wieder verletzt zu werden.
»Hast du sie gesehen? Sie wollte sich eigentlich mit mir treffen. Ich hab sie wie ein Wahnsinniger ge…«
»Du suchst Vivi Ann? Dann probier’s doch mal in Dallas’ Cottage.«
»Was?« Er trat einen Schritt zurück. In seinem Blick zeigten sich erst Verwirrung, dann Schock und dann Zorn.
Sie streckte die Arme nach ihm aus, weil sie ihn bei sich behalten und ihm alles erklären wollte. Sie war diejenige, die ihn wirklich liebte, der er wahrhaft vertrauen konnte. »Ich habe dir doch gesagt, sie würde dir das Herz brechen.«
Er stürmte aus dem Haus und knallte die Tür hinter sich zu. Winona hörte, wie draußen eine Wagentür zuschlug, ein Motor gestartet wurde und Reifen auf dem Asphalt quietschten.
Erst dann ging ihr auf, was sie getan hatte.
Zehn
Als Vivi Ann zu Luke nach Hause fuhr, versuchte sie, sich zurechtzulegen, was sie ihm sagen sollte.
Es tut mir so leid. Ich wollte dir nicht weh tun. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich so etwas tun könnte. Es ist einfach passiert …
Das klang alles so abgeschmackt, so klischeehaft, aber die Wahrheit war noch schlimmer. Wie konnte sie ihre Leidenschaft für Dallas in Worte fassen? Es war viel mehr als Sex. In seinen Armen … in seinem Bett … fühlte sie sich vollständig. Sie wusste, dass das keinen Sinn ergab, aber trotzdem war es die Wahrheit.
Vor Lukes Haus parkte sie den Wagen, rannte hinein, rief nach ihm und suchte in allen Zimmern.
Er war nicht da.
Natürlich nicht. Er war irgendwo in der Stadt und wartete in der Menschenmenge auf sie. In der Küche blieb sie vor der Anrichte stehen, nahm ihren Verlobungsring ab und legte ihn auf die avocadogrüne Arbeitsfläche.
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