Das Geheimnis der sieben Palmen
nicht gefunden, dafür aber etwas Neues auf seiner Insel entdeckt: Eine Kraterlandschaft mit steil abfallenden Wänden. Ein großes, tiefes Erdloch, vielleicht dreihundert Meter im Durchmesser, mit Gestrüpp bewachsen, und bevölkert von einer Ziegenherde, deren beißender Gestank bis zum Kraterrand hinaufzog.
Später hatte er das Ferkel geschossen, es ausgenommen und für den Spieß präpariert. Evelyn hatte ihm dabei geholfen; sie entwickelte handwerkliche Fähigkeiten und versuchte, aus alten Kistendeckeln einen Hühnerstall zu zimmern.
Phil ließ sie gewähren, obgleich er der Ansicht war, daß Freilandhühner schmackhaftere Eier legen als Stallhühner. Aber Evelyn hielt ihm einen Vortrag, daß es auf die Dauer lästig wäre, die Eier in der ganzen Umgebung zu suchen und dann nicht einmal zu wissen, ob sie schon angebrütet waren.
Auf die Dauer, hatte Phil gedacht. Sie sagt: auf die Dauer! Meinst sie das wirklich? Will sie hier mit mir hausen?
Der alte Konflikt kam wieder in ihm hoch. Wer ist sie? Wo kommt sie her? Warum wechseln Lüge und Liebe dauernd bei ihr ab? Was kann man ihr glauben? Die Tänzerin? Das Mädchen aus gutem Haus mit Abitur, das vor dem Medizinstudium davonläuft und durch die Welt tingelt, bis es in Kolumbien landet? Ausgerechnet in Kolumbien, in einer Hafenbar?! Die Welt ist verrückt, und das Schicksal der Menschen ist oftmals noch verrückter. Blick nur in den Spiegel und sieh dich selbst an, Phil! Dann mußt du ihr glauben, denn du selbst bist ja ein Mensch, dessen Leben alle Normen sprengt.
Er ließ Evelyn in Ruhe, fütterte seine Schweine und kümmerte sich dann intensiv um seinen Braten.
»Die Klöße bleiben rund! Hallihallo!« sagte er. »Vor nichts habe ich Angst – aber wenn ich Klöße ins Wasser werfe, krampft sich mein Herz zusammen. Ich kenne das von meiner Mutter. Hundertmal gelangen ihr die Klöße – nur manchmal, wenn Besuch kam, gingen sie auseinander. Es war jedesmal eine Tragödie, denn meine Mutter war bekannt für ihre Klöße!«
»Du hast nie Angst?« fragte Ev. Sie saß neben dem Spanferkel und betupfte es mit Öl. Die Glut des Feuers überzog ihr Gesicht. Er blickte zu ihr hin und erschrak. Ein Engel im Fegefeuer …
»Nie!« sagte er.
»Das ist unnatürlich. Jeder Mensch hat Angst.«
»Bei mir sind es die Klöße.«
»Phil! Bleib einmal ernst!«
»Ganz ernst«, sagte er bedachtsam. »Nein! Ich kenne keine Angst. Ich bin so eingebildet, mir immer vorzusagen: Du bist der Stärkere! Warum soll der Stärkere Angst haben vor dem Schwächeren?«
»Es könnte Stärkere geben als dich, Phil.«
»Ich habe noch keinen getroffen. Denken wir jetzt nicht an körperliche Stärke, Ev. Natürlich – da gibt es eine ganze Menge, die mir überlegen sind. Kerle wie Bullen, Muskelberge, die Eisenstangen biegen. Aber warum soll ich die fürchten? Gefährlicher sind die Kleinen, Unscheinbaren. Einen tobenden Wasserbüffel kannst du abschießen. Eine Tsetsefliege sticht dich, ohne daß du es verhindern kannst, und du bekommst die Schlafkrankheit. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja.« Sie nickte. Es sah aus, als tauchte sie ihren Kopf in das Feuer. »Weißt du, daß deine Sicherheit unheimlich werden kann?«
»Nur für den, der sie fürchtet.« Er deckte den Kloßtopf zu und beschäftigte sich wieder mit dem Spanferkel. »Wo essen wir? Auf der Terrasse oder drinnen?«
»Ich decke den Tisch draußen, Phil.«
Sie ging hinaus und nahm die große Petroleumlampe mit. Phil sah ihr nach und seufzte. Ich liebe sie, dachte er. Ich kann nicht dagegen an. Und wenn sie aus lauter Lügen zusammengebacken wäre – ich liebte sie trotzdem! Es ist etwas in mir, das mich plötzlich alles vergessen und verzeihen läßt, das mich unlogisch macht und unbelehrbar. Ich kann es mir nicht erklären.
Er beobachtete weiter, wie sich sein Spanferkel drehte und hörte Ev hin und her laufen. Geschirr klapperte, dann suchte sie ein großes Messer, um das Ferkel später anzuschneiden.
Was Phil nicht sah: Auf ihren Gängen nach draußen blieb sie ab und zu an der Terrasse stehen oder lief schnell zu den sieben Palmen und blickte über das nachtschwarze Meer zum Horizont. Ein paarmal blinkte es dort auf – ganz kurz nur, ein paar Lichtblitze, und jetzt schon merklich näher als die Blinkzeichen vor Sonnenuntergang.
Einmal hob sie die starke Petroleumlampe und schwenkte sie hin und her. Dann deckte sie den Tisch weiter und kam in die Höhle zurück.
»Was trinken wir?« fragte sie.
»Zur Feier
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