Das Geheimnis der sieben Palmen
Pendelverkehr Krater – Plateau war Sempas neues Spiel. Er hatte Yuma auf halbem Wege abgestellt und zeigte ihr jeden Sack, jede Kiste, jeden Karton, die er heranschleppte. Nach dem letzten Sack warf er sich auf die Bank. Neun Wochen hatten sie nun gerodet und einander beschimpft, belauert und wieder versöhnt. Schwer atmend überblickte er den aufgetürmten Schatz. Phil Hassler mußte zugeben, daß er dergleichen auch nicht annähernd erwartet hatte. Hier lag tatsächlich der größte Königsschatz, der je entdeckt und gestohlen worden war. Ein Teil des Wunderlandes El Dorado, das die spanischen Eroberer vor 450 Jahren unter Cortez und Pizarro gesucht hatten.
»Das sollten wir feiern!« sagte Sempa mit trockener Kehle. »Eve, wie sieht's mit den Getränken aus?«
»Wir haben noch Wein, Whisky, Brandy, Champagner …«
»Champagner!« Er riß sich das verschwitzte, an vielen Stellen schon zerrissene Unterhemd vom Körper und goß sich den Rest aus einer vor ihm stehenden Ginflasche über den Kopf, massierte das Getränk in die Kopfhaut und grunzte wohlig. Es stank schrecklich, aber Sempa schien es zu erfrischen.
»Wie gut das tut!« schrie er. »Phil, du wolltest leben wie der erste Mensch und hast nicht die geringste Ahnung, wie man das anstellt!« Er zeigte auf den Berg aus Kisten und Säcken mit dem unschätzbaren Schatz. »Hilfst du mir wenigstens beim Sortieren?«
»Auch das nicht.«
»Du wirst es bereuen.« Sempa starrte Phil Hassler aus seinen merkwürdig glänzenden Augen an. Jetzt überfällt ihn ein neuer Schub seines Wahnsinns, dachte Phil. Nach jeder übergroßen Anstrengung bricht er aus, das kennen wir nun schon. Es wird von einem zum anderen Mal schlimmer mit ihm, bis sein Verstand völlig zerstört sein wird. Dann werden die Tage kommen, an die Eve und ich nicht zu denken wagen.
Sempa stand auf, ging zu seinem Schatzberg und begann, alle Kisten und Säcke auf den Steinboden zu leeren. Dann sortierte er. Das Gebrauchsgeschirr – so bezeichnete er die mit Edelsteinen und Ziselierungen verzierten goldenen Becher, Schüsseln, Vasen und Teller – stapelte er rechts und links neben der ›Kegelbahn‹ auf zwei Hügel, deren vielfarbiges Funkeln im Sonnenlicht die Augen blendete.
Anders verfuhr Sempa mit den Figuren: Menschen, Tiere, Fabelwesen. Sie baute er zwischen den sieben Palmen auf, Kopf an Kopf, der Größe nach geordnet, sauber ausgerichtet wie beim Militär, eine kleine Völkerschar aus goldenen Leibern. Sich selbst schnallte er einen Königsgürtel mitsamt dem goldenen Schwert um die Hüfte. Er mußte freilich den Gürtel mit einem Seil verlängern, denn die Inkakönige waren klein und zierlich gewesen; was sie sich um ihre Taille geschlungen hatten, sah an Sempas bulligem Körper eher wie eine längliche Schnalle aus.
Evelyn hatte den Champagner aus der Höhle geholt und saß neben Phil auf der Bank. Halb erstaunt, halb entsetzt, sahen sie Sempa bei der Arbeit zu.
»Wird er denn niemals müde?« sagte sie. »So viel Kraft kann doch kein Mensch haben.«
»Es ist immer erstaunlich, welche Kraftreserven gerade die Irren entwickeln«, antwortete Phil.
Es war wieder Nacht geworden. Sempa zündete alle Fackeln entlang der ›Kegelbahn‹ an. Dann marschierte er wie ein Triumphator zwischen den lodernden Zweigen auf die sieben Palmen zu, wo die kleine goldene Armee stand.
»Stillgestanden!« brüllte er, drei Meter vor ihnen. »Die Augen – links!«
Er sprang zur Seite, schleppte Yuma auf die ›Kegelbahn‹ und stellte sie an die Spitze der vom Fackellicht umzuckten Goldstatuen.
»Augen – geradeaus!« schrie Sempa. Dann drehte er sich um und reckte sich zu voller Größe. Sein breites, verzerrtes Gesicht wirkte wie eine Dämonenmaske.
»Jetzt kommt es!« sagte Phil leise.
»Ich habe den Revolver schon neben mir liegen«, flüsterte Evelyn zurück.
Sempa reckte den Arm hoch; der wirkte wie eine Fahnenstange. »Das ist Yuma und das ist mein Volk!« brüllte er. »Wer ist nun der Herrscher dieser Insel, he?! Wer ist jetzt in der Überzahl?! Ihr zwei Idioten – oder Yuma, ihr Volk und ich, ihr Geliebter?« Er machte zwei Schritte vorwärts. Neben Evelyn, unter dem Tisch, knackte es leise. Phil blickte sie aus den Augenwinkeln an. Sie nickte. Ja, hieß dieses Nicken, ich habe den Revolver entsichert. Wenn er jetzt angreift, schieße ich. Phil, ich kann es … jetzt, in dieser Sekunde kann ich es.
Aber Sempa blieb stehen und machte wieder eine alles umfassende Armbewegung. »Wenn es
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