Das Geheimnis der sieben Palmen
Polsterbank niederließ.
»Er ist nicht da«, sagte er.
»Das ist unmöglich. Seine Angst vor Haien ist viel zu groß.«
»Auf dem Schiff rührte sich aber nichts.«
»Er sitzt irgendwo in Deckung und schwitzt seine Wut aus.« Sie teilte den Fisch in drei Portionen – die größte natürlich für Sempa – und setzte sich auch. »Fangen wir an. Lauwarm schmeckt der beste Fisch wie aufgeweichte Pappe.«
Sie hatten gerade mit dem Essen begonnen, als Sempa die Treppe herunterkam. Er schlich so leise, daß sie ihn erst bemerkten, als er die letzten beiden Stufen betreten hatte und seine riesige Gestalt die Tür völlig ausfüllte. Phils erster Blick galt Sempas Händen. Er trug keine Waffe.
»Mach schnell!« sagte Hassler. »Noch ist er heiß! Das ist der köstlichste Fisch, den ich je gesehen habe. Wenn ich bloß wüßte, wie er heißt. Er tritt nie in Schwärmen auf, nur als Einzelgänger. Ein Raubfisch vermutlich.«
Sempa setzte sich neben Phil, zog wortlos seinen Teller heran und begann, wie immer schmatzend, Riesenportionen in sich hineinzuschaufeln. Die wenigen Gräten, die er noch fand, legte er nicht auf den Tellerrand, sondern spuckte sie in die Kajüte.
Weder Phil noch Evelyn sprachen ihn an, aber sie beobachteten ihn genau. Er war wieder in jene gefährliche Dumpfheit gefallen, die sich meistens in einer Art Explosion auflöste – und dann war er unberechenbar. Mit den langen grünen Nudeln kämpfte er wie mit einem Gewimmel von Baumschlangen und zerhackte sie in kleine Stücke, mit sichtbarem Vergnügen an der Zerstörung.
»Es schmeckt nicht!« sagte er endlich. Aber er aß weiter.
»Es hat nie einen besseren Fisch gegeben!« widersprach Phil.
»Yuma fehlt!«
»Dann kann es natürlich nicht schmecken.«
»Dann schmeckt gar nichts mehr! Ohne Yuma ist nichts, nichts, nichts!«
»Vollkommen klar, Ari.« Evelyn schob die Servierplatte näher. »Noch ein bißchen Fisch?«
»Für Yuma!«
»Gern. Für Yuma. Auch Nudeln?«
»Hänge sie dir um den Hals als Kette!«
»Dafür habe ich genug Gold und Edelsteine. Phil hat beim Kegeln eine Menge gewonnen.«
Sempa blickte von seinem Teller hoch und musterte Phil aus stumpfen Augen.
»Wieviel sind es jetzt?« fragte er.
»Materialwert vielleicht 23 Millionen Dollar. Museumswert …«
»Unschätzbar! Ich weiß!« Sempa stocherte in seinem Stück Fisch herum. »Wir haben Zeit! Eines Tages hole ich mir alles zurück.« Er hob die Gabel zum Mund, senkte sie wieder und starrte Hassler forschend an. »Bald!« sagte er dumpf. »Sehr bald! Phil, ich sehe es in deinen Augen. Du merkst es nicht – aber der Wahnsinn schleicht sich an dich heran. Nur weiter so, nur weiter! Ich halte aus! Aber als Freund verspreche ich dir: Wenn du am Ende bist, soll es Eve gut bei mir haben. Kein Haß, kein Groll, keine Rache, kein Nachtragen. Alles wird vergessen sein. Dann können wir endlich mit dem ganzen Schatz hinüber in die Staaten und ein Leben führen wie König und Königin. Jeden Morgen werden wir uns in Champagner baden! Ich werde Knipskarten für meine Weiber ausgeben, damit wir nicht durcheinander kommen und jede ihren Teil abkriegt. Und Eve? Die Männer werden den Boden ihres Schlafzimmers sauberlecken, so hörig werden sie ihr sein! Mach dir also um Eve keine Gedanken, mein Junge! Ich werde für sie sorgen, auch wenn ich sie nie ins Bett bekomme. Damit habe ich mich abgefunden! Aber du, Phil, wirst in Kürze wahnsinnig werden! Ich sehe es in deinem Blick! Von Tag zu Tag wird er glasiger und starrer.«
Es war genau umgekehrt. Sempas Augen verödeten in erschreckender Weise. Diese Veränderung vollzog sich so schnell, wie Phil das nie für möglich gehalten hätte. Aber er hütete sich, mit Sempa darüber zu sprechen, so wie der es jetzt mit ihm tat. Morgen ging die Arbeit weiter: das Anlegen der Felder, das Niederbrennen der Dorngestrüppe, das Heranschaffen von Erde aus dem anderen Teil der Insel, das Mengen von Sand, Erde und Asche zu einem Boden, der einmal Frucht tragen sollte der weitere Ausbau der Bewässerung und die Anlage neuer Reservoire für das Regenwasser … Es war noch so viel zu tun.
Ohne viel nachzudenken, taten sie genau das, womit man ein Paradies zerstört: Sie veränderten die Landschaft und das biologische Wechselspiel der Natur nach den Bedürfnissen des zivilisatorischen Fortschritts. Sie bauten auf und vernichteten gleichzeitig nach dem Gesetz der Zweckmäßigkeit. Der Pioniergeist siegte wieder einmal.
Aus der unberührten Insel
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