Das Geheimnis der Sonnensteine: Roman (Sonnenstein-Trilogie) (German Edition)
verseucht habe.
In Doreans Augen sind das maßlose Übertreibungen; ganz im Gegenteil, ein bißchen von der typisch korenthischen Schnoddrigkeit und Respektlosigkeit kann den steifen Umgangsformen und dem durch Regeln und Vorschriften normierten Alltag nur gut tun.
Bei Elmer scheint diese Ansicht jedoch extrem zu sein. Nicht selten hat er beobachten können, wie er in ohnmächtigem Zorn die Fäuste ballte – der sonst so friedliche und verständnisvolle Elmer –, wenn hohe Offiziere oder Leute mit grünem oder rotem Sonderausweis sich einfach an den Kopf der Schlangen vor den Tubifexstationen stellten oder ihnen den letzten Amigo wegnahmen. Einmal zwang sie ein Kosmander aus dem RS-Stab, der auf seine Privilegien pochte, den gerade eroberten Amigo zu verlassen, weil er mit seiner Familie einen Einkaufsbummel unternehmen wollte. Seitdem steht Elmers Urteil fest: Privilegien sind dazu da, daß man sie mißbraucht! Daß dem Kosmander nach ihrem Protest für ein Jahr die grüne Karte weggenommen wurde, konnte ihn zu Doreans größtem Erstaunen nicht besänftigen.
Eine andere Erklärung als die krankhafte Ablehnung der Autorität kann Dorean für Elmers Verhalten nicht finden. Verständlich, so gesehen, daß er darauf besteht, den Traumteufel auszuprobieren.
Als Elmer das leere Glas achtlos in die Ecke schleudert und mit schwankenden Schritten in Richtung Kammer geht, versucht Dorean ein letztes Mal, ihn zurückzuhalten. Aber der Alkohol wirkt auch bei ihm, und er wundert sich nicht einmal, als er plötzlich sagt: „Überlege dir gut, Elmer, was…, was für ein Programm du wählst…“ Dann läßt er sich in einen Sessel fallen und schläft auf der Stelle ein. Elmer achtet gar nicht darauf, sondern taumelt aus dem Zimmer.
Erst als er vor dem Traumteufel steht, zögert er einen Augenblick. Die faszinierende Möglichkeit, in verborgene Winkel des eigenen Gehirns einzudringen, dunkle und vielleicht erschreckende Sehnsüchte erkennen zu müssen, sie lähmt ihn für Bruchteile einer Sekunde, denn Elmer weiß zwar nichts über die Bedienung, aber alles über die Funktionsweise des Traumteufels.
Vorgeben läßt sich nur eine Grundsituation, das Milieu, die Stimmung, den Rest bezieht die Maschine aus Gedächtnisinhalten, geheimen Wünschen, der Mentalität sowie den Ängsten, Zweifeln und Konflikten des Gehirns, auf das sie rückwirkend Einfluß nimmt. So kann man den Ablauf der Traumhandlung ebensowenig steuern wie im natürlichen Schlaf. Man steht zwar neben Admiral Nelson auf der Brücke, wenn man das will, aber daß einem die Beine von einer Kanonenkugel zerschmettert werden, ist eine Reaktion des eigenen Gehirns, Realisierung tiefsitzender Ängste, die unter Umständen das ganze Persönlichkeitsbild bestimmen. Natürlich lassen sich solche Rückkopplungen blockieren, auch das weiß Elmer, gerade dieser scheinbare Vorteil gegenüber dem natürlichen Traumgeschehen hatte ja dazu geführt, daß die in Tausenden von Jahren gewachsene menschliche Kultur beinahe erloschen wäre wie eine abgebrannte Kerze, weil immer weniger imstande waren, der lockenden Süße dieser seichten Pseudowirklichkeit zu widerstehen, in die man sich ohne Aufwand versetzen konnte…
Auf dem Pult an der Rückseite des Gerätes findet Elmer ein dünnes Folieheft, das Chiffreregister! Blitzschnell überfliegt er die im Traumteufel gespeicherten Situationen, seine Freude weicht Unzufriedenheit und schließlich Verärgerung: A – Aalangeln auf einem stillen Waldsee bei Vollmond, Abendrot über Fjordlandschaften, Alpenwiese im Frühling, antarktische Pinguinkolonie… B – Baden in einem Hochgebirgssee, Banjomusik… E – Eissegeln…
Der ehemalige Eigentümer scheint ein ausgesprochen romantisch veranlagter Mensch gewesen zu sein, denkt er wütend. Nicht eine handfeste abenteuerliche Situation!
So entscheidet er sich nach kurzem Überlegen für die „Erlebnisse einer jungen Robbe“, das einzige, was ihm halbwegs zusagt, und tippt den Code ein. Eine Reihe von Lämpchen glimmt auf, und als sein Blick auf das grünstrahlende Alphazeichen fällt, begreift er, was noch zu tun ist. Eigentlich überall dasselbe Prinzip, denkt er, und er drückt die Taste mit dem Startsymbol. Dann läßt er sich in den Sessel fallen und registriert gerade noch, wie sich eine dunkle Glocke auf ihn herabsenkt…
Quälender Hunger plagt Trinnie. Seit zwei Tagen hat sie nichts gefressen, und die rechte Flosse, die von einem herabgeschleuderten Stein getroffen wurde,
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