Das Geheimnis der Sonnensteine: Roman (Sonnenstein-Trilogie) (German Edition)
Gefühlsregung.
Der unförmige Koloß aus Menschenleibern teilt sich in der Mitte und gibt einen schmalen Durchlaß frei. Die Leute stehen größtenteils, nur einige wenige sitzen oder liegen. Quinto steigt über Beine und Oberkörper hinweg und achtet darauf, daß er niemanden tritt. Er muß den Blick abwenden, als er die hoffnungsvollen Blicke der Menschen sieht. „Werden wir endlich abgeholt, Subkosmander?“ röchelt ein Mann mit rotfleckigem Gesicht und greift nach seinem Ärmel.
Quinto bringt kein Wort hervor, die Kehle ist ihm wie zugeschnürt.
„Subkosmander Cosma hat wichtige Ersatzteile gebracht, die dringend benötigt werden! Ihr müßt Geduld haben, Leute!“ ruft Dark mit fester Stimme. Ein Stöhnen der Enttäuschung geht durch die Masse.
Quinto spürt, wie er auf etwas Weiches tritt. Erschreckt hebt er den Fuß und blickt nach unten. Es ist nicht zu erkennen, wem die Hand gehört, und niemand antwortet, als er sich stammelnd entschuldigt. Manchmal sind winzige Lücken zu erkennen, dort stehen Trinkgefäße und Eimer.
Eine Kolonne Männer in dunklen Arbeitsmonturen kommt ihnen im Gänsemarsch entgegen. Der erste nickt nur flüchtig, als er den Vizeadmirander erkennt. Sie tragen feuchte Tücher vor den Gesichtern, und als sie sich an ihnen vorbeischlängeln, begreift Quinto auch, warum. Beißender Gestank steigt aus den Kübeln auf, die sie tragen, Quinto kann einen Brechreiz kaum unterdrücken.
„Das ist unsere größte Sorge“, erläutert Dark. „Wir können nur hoffen, daß keine Seuche ausbricht. Das Problem dabei sind weniger die Medikamente – davon haben wir genug – als die Masse von Menschen…“
„Sieht es überall so aus?“ fragt Quinto entsetzt. Dark winkt verbittert ab.
„So wie hier? Mann, Adriel, was glauben Sie denn? Das hier oben ist die Luxusklasse, die Fürstensuite…“
Quinto spürt einen dumpfen Druck im Kopf. Erst jetzt kann er ermessen, was Tolders Versagen für diese Menschen bedeutet.
Sie kommen an einer Gruppe vorbei, die, noch stärker ineinander verkeilt, die Köpfe zusammensteckt. Es sieht aus wie eine überdimensionale Traube.
„… er muß rochieren…!“ hört Quinto jemanden schimpfen.
„Ruhe! Das weiß er selbst!“ antwortet eine andere Stimme ärgerlich. Dark bleibt kurz stehen und fragt laut: „Wie steht es, Professor Wondermark, gut?“
Quinto schaut verblüfft in die Menge. Nun sieht er auch das winzige Magnetschach in den Händen der Spieler.
„O nein, Jorgert, er hat mich ganz schön in Bedrängnis gebracht, die Runde werde ich wohl verlieren!“ antwortet der Professor munter. Wondermark! denkt Quinto entsetzt. Der Bruder des Hochkommissars des Solaren Internen Regulativs, allseits als hervorragender Substitutionschirurg geachtet und verehrt…
„Quatscht nicht so lange!“ ruft es aus der Menge. „Wir wollen auch mal rankommen.“
„Auf Wiedersehen, Professor!“ sagt Dark und geht weiter.
Beim großen Sirius, der Professor unter solchen Verhältnissen, denkt Quinto bestürzt, gibt es denn hier keine Ordnung mehr in der Welt?
„Der Professor ist für mich unentbehrlich geworden“, erklärt Dark. „Er hat die Gruppe im Korridor zwölf fest in der Hand. Außerdem – wer will die Entscheidung fällen, wer von hier weggebracht wird und wer nicht? Nach welchen Kriterien soll so etwas entschieden werden? Wollen Sie die Menschen in Kategorien einteilen? Selbst wenn das ginge, die Grenzen wären zwangsläufig fließend, also müßte wieder jemand entscheiden, wo der rote Strich gezogen wird, die Trennungslinie, die darüber befindet, welcher Teil der Passagiere wertvoller wäre als der andere! Wollen Sie diese Linie festlegen? Es wäre ein Riß durch die ganze Gesellschaft…“
Und mit belegter Stimme fügt er hinzu: „Ich achte solche Menschen wie Professor Wondermark, die mit aller Kraft dazu beitragen, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten, denn das ist das Lebenselixier der Siriusfestung in der jetzigen Lage. Sie werden sehen, daß es nicht wenige sind, die wie der Professor denken und handeln.“
Da hört Quinto ein Kind greinen. Sie erreichen eine Kabinentür, die einen Spalt geöffnet ist. Als Quinto einen Blick hineinwerfen will, zieht Dark ihn weiter: „Da gibt es nichts zu sehen. In den geräumten Kabinen haben wir die Frauen und Kinder untergebracht…, nur Frauen mit Kleinkindern. Je zwölf in einer Zweimannkabine. Sie reichten trotzdem nicht…“
Jetzt erst wird Quinto bewußt, daß sie völlig unnötig zu Fuß
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