Das Geheimnis der Totenmagd
um.
»Das dient keinen bösen Zwecken, im Gegenteil«, erklärte er besänftigend, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Meister Hans verwendet diese … Teile für seine Medizin. Auf Genehmigung des Rates ist es dem Henker nämlich erlaubt, die Körper von Hingerichteten zu öffnen, um zu nehmen, was ihm als Arznei dienlich erscheint. Denn Meister Hans ist nicht nur der Mann des Todes, sondern auch ein begnadeter Heiler. Gerade von den ärmeren Leuten werden seine Dienste gerne in Anspruch genommen. Er verfügt über sehr gute Kenntnisse des menschlichen Körpers und ein fundiertes Kräuterwissen. Sicherlich kennt auch Ihr die berühmten Henkerstropfen, die er nach einem alten gehüteten Familienrezept herstellt …«
»Und die angeblich gegen Pest, Veitstanz, Hundswut und Unfruchtbarkeit wirken«, fiel ihm Katharina ins Wort. »Ich weiß. Seine Frau verkauft sie immer auf den Messen.«
»Warum hat man mich hierhergebracht?«, wollte sie dann in schärferem Tonfall wissen.
»Der Meister hat entschieden, dass Ihr die Weihen der Bruderschaft erfahren sollt«, erwiderte der Graue gravitätisch. »Da Ihr durch Euren Beruf und Eure Herkunft dem Königreich des Todes nahesteht, hat er Euch dessen für würdig erachtet.«
»Was für eine Ehre«, bemerkte Katharina bissig und warf dem Mann in der Mönchskutte einen feindseligen Blick zu. »Darf ich raten, Herr Krankentröster? Euer Meister heißt Leonhard Stefenelli«, zischte sie hämisch. »Und eines sage ich Euch gleich: Er und Eure saubere Bruderschaft können mir gestohlen bleiben!«
»Warum denn so unduldsam, meine Liebe? Ihr solltet froh sein, dass der Meister Euch am Leben gelassen hat.«
Dann deutete der Graue auf einen Holzbottich, den er hereingetragen hatte. »Säubert Euch erst Mal, und zieht saubere Sachen an, Ihr stinkt ja wie ein Brunnenputzer. Hinterher könnt Ihr Euch ein wenig stärken. Ich bringe Euch auch Euren Lieblingstrank«, sagte er mit kaltem Spott und entfernte sich erneut.
Bei der Erwähnung des Weins fing Katharinas Seele an, lichterloh zu brennen. Eine unbändige Gier loderte in ihr auf, und ihre gepeinigten Nerven lechzten förmlich nach dem Trank. Sie konnte es kaum noch erwarten, in der samtigen schwarzen Leere zu versinken. Bebend kauerte sie sich auf ihren Strohsack, schlang die Arme um ihre zitternden Knie und wartete sehnsüchtig auf die Rückkehr des Mannes im Mönchsgewand.
Fehlt bloß noch, dass dir der Geifer aus dem Maul läuft , meldete sich plötzlich eine Stimme in ihr zu Wort, die sie schon lange nicht mehr gehört hatte und gerne zum Schweigen gebracht hätte. Hektisch wischte sie sich über die schweißnasse Stirn, als könne sie dadurch auch unliebsame Gedanken wegfegen. Doch mit einer unbarmherzigen Klarheit, die aus den Tiefen ihrer Seele zu kommen schien, wurde sie sich auf einmal ihrer ganzen Jämmerlichkeit bewusst. Mit scharfem Blick erkannte sie, in welch irrsinnige Knechtschaft sie sich verstrickt hatte, und stammelte keuchend: »Ich muss entsagen!«
*
Kilian von Hattstein trat an den Tisch und schlug mit liebevoller Geste das schwarze Buch auf.
»Ehe ich Euch von unserer Bruderschaft erzähle, möchte ich Euch zunächst ein paar Zeilen aus diesem wunderbaren Buch vorlesen, in denen eigentlich alles enthalten ist, was unsere Gemeinschaft auszeichnet«, richtete er feierlich das Wort an Katharina, die, in einen schwarzen Trauermantel gewandet, auf dem Strohsack saß und ihn mit offenkundiger Ablehnung ansah. Die Speisen und den Wein, die neben ihr auf dem Boden standen, hatte sie bis jetzt nicht angerührt, auch wenn es ihr beinahe die Eingeweide zerriss, dem Wein und seinem wohligen Rausche zu entsagen. In immer wilder werdenden Strudeln kreisten ihre Gedanken nur um eines: den Becher mit dem bitteren Trank. Der Drang, danach zu greifen und den Inhalt in grenzenloser Gier herunterzustürzen, wurde umso mächtiger, je peinigender der Schmerz wurde. Dieses unsägliche Stechen und Brennen in den Gliedern und am ganzen Leib war, als riss ihr eine Horde blutrünstiger Nager das letzte bisschen Fleisch von den Knochen. Noch nie habe ich mich so krank und so elend gefühlt. Nur dies eine Mal noch … bitte, bitte, bitte! Was schadet es schon? Ich bin doch sowieso verloren!
Doch die klare Stimme in ihr gab nicht auf: Du bist erst dann verloren, wenn du dich selber aufgibst. Dieser Teufelstrank ist schuld daran, dass du in die Klauen dieser Wahnsinnigen geraten bist , führte sie sich immer wieder vor Augen,
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