Das Geheimnis der Totenmagd
ihn unbedingt sprechen!«
Als sich auch nach fortgesetztem Rufen und Klopfen nichts mehr regte, beschloss Florian, in die nächstbeste Schenke zu gehen, um sich sein Mütchen mit ein paar Krügen Bier zu kühlen. Ich krieg dich schon noch zu fassen, du Saukerl, und wenn ich dir die Tür eintreten muss , dachte er wütend und steuerte auf das am Kornmarkt gelegene Wirtshaus zu.
Etwa anderthalb Stunden später stand Florian reichlich angetrunken wieder vor Stefenellis protzigem Wohnhaus. Während er heftig gegen die Tür schlug, schrie er immer wieder Stefenellis Namen. Doch in dem Haus blieb alles dunkel, von drinnen waren keinerlei Geräusche zu vernehmen. Dann machte er schwankend ein paar Schritte rückwärts, bückte sich und formte in den Händen einen dicken Schneeball, den er durch Zusammenpressen hart wie einen Stein machte.
»Wo ist Katharina, du Ratte? Was hast du ihr angetan?«, gellte seine heisere Stimme durch die Nacht. Dann holte er aus und zielte mit dem Schneeball auf eines der Fenster, das klirrend zerbarst. Im nächsten Augenblick traf ihn ein heftiger Schlag auf den Rücken, und er wurde von kräftigen Männerarmen gepackt und weggezerrt.
*
»Werter Herr Kollege, ich darf vorstellen: Das ist Anna Stockarn, eine gelehrte Dame aus Frankfurt am Main, deren hervorragende Abhandlungen über das Leib-Seele-Verhältnis in den Lehren Platons die Bibliothek der Philosophischen Fakultät bereichern«, sagte Professor Avenarius Eschenbach, ein würdevoller Herr mit silbergrauen schulterlangen Haaren und Denkerstirn, seines Zeichens Dekan des Philosophischen Kolloquiums der Universität Mainz. Dann stellte er Anna ihrerseits den kahlköpfigen Herrn mit den asketischen Gesichtszügen vor, der ihr hinter seinem Schreibtisch erstaunt entgegenblickte: »Professor Laurentius Euler, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Mainz.«
Professor Euler erhob sich, schüttelte Anna höflich die Hand und bemühte sich dabei, seine Irritation über eine Frau in den heiligen Hallen der Alma Mater nicht allzu offenkundig zu zeigen. Dann erkundigte er sich nach Annas Begehr.
»Ich habe eine Frage zu einem gewissen Leonhard Stefenelli, Stadtarzt zu Frankfurt am Main, der hier an der Medizinischen Fakultät studiert und seinen Abschluss gemacht hat«, begann sie vorsichtig. Täuschte sie sich, oder hatten ihre Worte tatsächlich ein kurzes Aufflackern in seinen hochmütigen Augen bewirkt?
»Wie kann ich Euch da weiterhelfen?«, fragte der Professor reserviert und hob unwillig die dichten schwarzen Augenbrauen.
Anna erläuterte: »Doktor Stefenellis Abschlussurkunde der Medizinischen Fakultät wurde am 8 . Januar 1507 ausgestellt, unterschrieben von Dekan Professor Anselmus Stefenelli, der auch der Vater von Leonhard Stefenelli war. Professor Stefenelli ist Anfang November 1508 in Frankfurt verschieden. Ich möchte lediglich von Ihnen wissen, Herr Dekan, ob das seine Richtigkeit hat.«
Professor Euler wirkte einigermaßen konsterniert. »Habt Ihr Gründe, daran zu zweifeln? Wenn mein ehrenwerter Vorgänger und verdienter Kollege, Professor Stefenelli, das so beurkundet hat, wird es wohl schon stimmen.«
»Versteht mich recht, ich möchte das Renommee des Verstorbenen keineswegs mindern. Aber wenn es möglich wäre, würde ich mir gerne die Absolventenliste des Jahrgangs 1507 anschauen, die doch bestimmt an Eurer Fakultät hinterlegt ist. Es geht mir vor allem um die medizinische Kompetenz Leonhard Stefenellis. Er war der behandelnde Arzt meiner Schwester Mechthild Stockarn, die, wie Ihr vielleicht vernommen habt, Anfang November bestialisch ermordet wurde …«
»Ach, diese schlimme Sache in Frankfurt. Ich habe davon gehört. Mein Beileid übrigens. Hat denn der junge Stefenelli etwas damit zu tun? Ich dachte, der Mörder sei schon hingerichtet worden.« Professor Euler blickte bestürzt.
»Es gibt da gewisse Ungereimtheiten«, erklärte Anna. »Der Doktor hat unserer Familie einen Krankentröster empfohlen, der meine gemütskranke Schwester bis zu ihrem Tod betreut hat, und dieser hat sich im Nachhinein als Betrüger erwiesen und ist seit dem Mord an Mechthild unauffindbar. Außerdem ist es ruchbar geworden, dass Stefenelli eine Wöchnerin mit einer Mutterkorntinktur behandelte, die er selbst hergestellt hat. Die Frau litt daraufhin unter Wahnvorstellungen, und ihr Fuß wurde brandig. Die Apothekerinnung hat sich beim Magistrat über den Stadtphysikus beschwert.«
»Das ist ja in der Tat recht
Weitere Kostenlose Bücher