Das Geheimnis der Totenmagd
überdies von meinem Herrn Vater in Bälde mit einer umfangreichen Auftragsarbeit bedacht werden.« Es machte ihr ein diebisches Vergnügen zu sehen, wie sich der allseits bekannte Speichellecker angesichts ihrer Bekundung unbehaglich wand. »Außerdem darf ich Euch verraten, es haben sich gewisse ungute Verdachtsmomente gegen den gar nicht so ehrenwerten Doktor Stefenelli ergeben. Ich werde sie im Anschluss vor dem Magistrat in aller Ausführlichkeit darlegen. Danach wird sich eine weitere Inhaftierung meines lieben Freundes Hillgärtner sicherlich als unnötig erweisen. Einstweilen aber möchte ich mich für Euer freundliches Entgegenkommen bedanken. Bestellt dem Gefangenen herzliche Grüße von mir«, flötete sie. Als sie die Tür hinter sich schloss, starrte ihr Lederer entgeistert hinterher.
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Gleich darauf wurde Anna Stockarn im Römerrathaus vorstellig und bat darum, Bürgermeister Reichmann höchstpersönlich zu sprechen. Bereits nach wenigen Minuten wurde sie von einem der livrierten Türsteher in das Amtszimmer des Stadtschultheiß geführt. In deutlichen Worten erläuterte sie dem Würdenträger, der zu den engsten Freunden ihres Vaters gehörte, den Sachverhalt und legte ihm eine schriftliche Erklärung des Dekans der Medizinischen Fakultät der Universität Mainz, Professor Euler, vor. Darin erklärte sich dieser bereit, in der Angelegenheit eine eidesstattliche Versicherung abzugeben.
Mit ernster Miene ließ Reichmann die Ratsherren Fichard, Neuhaus, Stalburg, Weiß und Holzhausen in sein Amtszimmer bitten.
Eine gute Stunde lang sprachen die Honoratioren den Fall genau durch und verglichen Annas Aussage mit Stefenellis hinterlegter Abschlussurkunde. Dann bestand für sie kein Zweifel mehr daran, dass der Magistrat der Stadt Frankfurt von Leonhard Stefenelli böswillig getäuscht und betrogen worden war.
Gleich darauf beauftragte Bürgermeister Reichmann zwei Stangenknechte, Doktor Stefenelli umgehend in den Rathaussaal zu zitieren, wo er vor dem gesamten Magistrat sowie den Vorstehern der Frankfurter Ärzteschaft Rede und Antwort zu stehen habe.
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Mit angehaltenem Atem stand Reinfried von Gückingen alias Leonhard Stefenelli auf dem oberen Treppenabsatz und lauschte den Worten der Stadtbüttel. Als es an der Tür geklopft hatte, hatte er unauffällig aus einem Fenster des oberen Stockwerks geblickt. Beim Anblick der Stangenknechte schwante ihm nichts Gutes, und er hatte seinem Diener zugeraunt: »Ich bin nicht da!«
So vernahm Stefenelli nun den amtlichen Tonfall des Schergen: »Der höchst ehrenwerte Rat der freien Reichsstadt zu Frankfurt am Main unter dem Vorsitz des hochwohlgeborenen Herrn Bürgermeister Reichmann hat angeordnet, der Herr Stadtphysikus Stefenelli möge unverzüglich ins Römerrathaus kommen.«
»Mein Herr ist nicht zu Hause«, ertönte daraufhin die resolute Stimme des Hausdieners. »Er macht gerade Krankenbesuche.«
»Wo hält er sich denn momentan auf?«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber er wird um die vierte Stunde im Hospital zum Heiligen Geist sein, um dort seine Nachmittagssprechstunde abzuhalten«, fügte der alte Fuchs entgegenkommend hinzu.
Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann erklärte einer der Büttel ungehalten: »Die Angelegenheit ist äußerst dringlich, und Ihr macht Euch strafbar, wenn Ihr dem Magistrat nicht die notwendige Unterstützung zukommen lasst. Sollte Euer Herr in nächster Zeit hier auftauchen, sorgt dafür, dass er über die Vorladung in Kenntnis gesetzt wird.«
»Ich werde es ausrichten«, knarzte die Stimme des Alten. »Darf ich fragen, warum mein Herr vorgeladen wird?«
»Die Gründe dafür wird der Herr Stadtphysikus nachher schon selbst erfahren. Doch Ihr könnt ihm sagen, dass es um seine Approbation geht.«
Als Puch seinem Herrn entgegeneilte, um ihm Rapport zu erstatten, unterbrach ihn Reinfried barsch mit der Bemerkung, er habe alles mitgehört. Aufgebracht erklärte er: »Diese Pfeffersäcke wollen mir ans Leder. Wir müssen hier so schnell wie möglich abhauen. Pack schon mal das Nötigste zusammen, und sattel die Pferde. Wir schlüpfen im Galgenviertel bei Meister Hans unter, da sind wir fürs Erste sicher. Und dann beratschlagen wir, wie es weitergehen soll.«
»Ja, Meister. Was soll ich denn alles einpacken? Wir kommen ja sicher so schnell nicht mehr wieder hierher?« Der alte Puch wirkte sichtlich bekümmert. »Ach Gott, all die schönen Sachen, die wir zurücklassen müssen …«, jammerte
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