Das Geheimnis der Totenmagd
er.
Reinfried überlegte. »Damit müssen wir uns abfinden. Pack alles ein, was irgendwie von Wert ist. Es darf aber nicht zu groß und sperrig sein. Und natürlich unsere Waffen. Um meine persönlichen Sachen und mein Felleisen mit den ärztlichen Instrumenten und Medikamenten kümmere ich mich selbst.« Er ermahnte seinen Diener noch: »Beeil dich, wir haben nicht viel Zeit.« Dann entschwand er in seinen Behandlungsraum und ließ vernehmlich die Tür ins Schloss fallen.
Drinnen begab sich Stefenelli zielstrebig zu einer kunstvoll geschnitzten Eckvitrine, der er eine Glaskaraffe mit edlem spanischen Weinbrand entnahm. Er goss sich einen kräftigen Schluck daraus in einen Zinnbecher und leerte ihn in einem Zug. Dann ließ er sich auf einen mit Seidenkissen gepolsterten Lehnstuhl sinken und dachte konzentriert nach.
In seinem hohlwangigen, narbigen Gesicht, das in seiner wilden Verwegenheit jedem Freibeuter zur Ehre gereicht hätte, zuckte kein Muskel. Lediglich die grünen Wolfsaugen leuchteten in düsterer Intensität. Während er sich mit der feingliedrigen gepflegten Hand immer wieder durch den dichten, mit schwarzem Henna gefärbten Haarschopf fuhr – sein Haar war vor zwei Jahren, nach seiner überstandenen Pesterkrankung, schlohweiß geworden –, zeigte sich um seine Mundwinkel plötzlich ein abgründiges Lächeln. Er schien zu einer Entscheidung gelangt zu sein.
»Conium maculatum« , flüsterte er fast zärtlich. »Das ist genau das Richtige!«
Er erhob sich und ging zu dem Wandregal, das mit Tiegeln, Gefäßen und Gläsern in unterschiedlichsten Formen und Größen angefüllt war, und ergriff einen gut verschlossenen Steinguttopf, den er auf den breiten Arbeitstisch stellte und vorsichtig öffnete. Sogleich breitete sich im ganzen Raum ein stechender Geruch nach Mäuseurin aus. Der Topf war bis zum Rand gefüllt mit kleinen grünlichen Samenkapseln, die ein wenig wie gedörrte unreife Pflaumen aussahen. Reinfried zögerte kurz, bevor er nach und nach den gesamten Inhalt in ein Leinensäckchen füllte, das er sorgfältig verschnürte und in seinem Felleisen verstaute.
»Bei so vielen Leuten werden wir schon alle brauchen. Besser zu viel als zu wenig«, murmelte er vor sich hin, während ihm von dem durchdringenden Geruch die Augen tränten, als habe er Zwiebeln geschält.
*
Gleich nach ihrer Unterredung mit dem Bürgermeister und den Ratsherren wurde Anna erneut im Leinwandhaus vorstellig, um sich bei Lederer für Florians Haftentlassung zu verwenden. Obgleich sie ihm auseinandersetzte, dass es sich bei dem Geschädigten Leonhard Stefenelli um einen erwiesenen Betrüger handele, der sich vor dem Magistrat zu verantworten habe, konnte sich der Untersuchungsrichter nicht dazu durchringen, Florian auf freien Fuß zu setzen. Immerhin gestattete er Anna, sich mit dem Gefangenen durch die Kerkertür zu besprechen.
Während sich Anna und Florian noch die Köpfe über Stefenelli heißredeten, war plötzlich aus der Wachstube lautes Stimmengewirr zu vernehmen. Mehrfach fiel der Name des Arztes. Anna stürzte sogleich die Treppe hinauf und bekam gerade noch mit, wie Lederer sich vor dem Stadtschultheiß und seinem Gefolge devot verbeugte.
»Der Betrüger Stefenelli ist zum Verhör im Rathaus nicht erschienen, und in seinem Wohnhaus in der Sandgasse öffnet niemand die Tür«, erklärte Reichmann dem Untersuchungsrichter. »Wir haben demnach also allen Grund zu der Annahme, dass sich Stefenelli der Befragung hinterlistig entziehen will. Was als ein weiteres Zeichen seiner Schuld gewertet werden kann. Ich beauftrage daher die Stadtpolizei, Stefenellis Haus aufzubrechen und nachzuforschen, ob er sich dort noch irgendwo versteckt hält. Desgleichen sind alle verfügbaren Stangenknechte anzuweisen, systematisch die Stadt nach ihm zu durchkämmen. Die Torwächter müssen instruiert werden, sämtliche Ausgangsstraßen nach dem falschen Doktor abzusuchen. – Auf, auf, Lederer, veranlasst alle nötigen Schritte, und zwar stante pede, denn es wird schon bald dunkel!«, befahl der Schultheiß ungeduldig. »Es muss alles drangesetzt werden, dass wir ihn heute noch erwischen, denn morgen ist er wahrscheinlich schon über alle Berge.«
Lederer straffte seine Haltung, ehe er mit belegter Stimme hervorstieß: »Das wird umgehend erledigt, Herr Bürgermeister!«
»Wir erwarten im Rathaus heute noch Euren Rapport, oder besser noch: die Vorführung des Schwindlers.«
Reichmann und seine Delegation wollten sich gerade
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