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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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vernahm. Es war ein sich stets wiederholender Chor von düsteren Stimmen, eine eintönige, aber beschwörende Melodie, die aus einem abgelegenen Winkel des Friedhofs zu kommen schien. Er wankte nach draußen, um nach dem Rechten zu sehen, und hörte den Gesang nun deutlicher. Er drang eindeutig vom nördlichen Teil des Friedhofs zu ihm herüber.
    »Verdammtes Gesindel«, fluchte er erbost vor sich hin, »müssen die einen jetzt auch noch in der kalten Jahreszeit behelligen!«
    Nicht nur während der Pest waren Friedhöfe beliebte Treffpunkte und Versammlungsstätten gewesen, von gewissen Leuten wurden sie auch in ruhigen Zeiten aufgesucht. Da sich die meisten Menschen davor grauten, nach Einbruch der Dunkelheit auf den Friedhof zu gehen, blieben Ganoven und andere zwielichtige Gestalten dort ungestört. In warmen Sommernächten wurde ausgiebig dem verbotenen Glücksspiel gefrönt und Diebesgut verschachert, Huren, die nicht in einem der städtischen Frauenhäuser kaserniert waren, gingen auf dem verwilderten Gelände ihrem Gewerbe nach. Der Bereich an der Nordmauer des Peterskirchhofs war besonders beliebt, denn die angrenzende Gegend war nahezu unbewohnt. In den letzten Jahren hatte das Treiben so sehr überhandgenommen, dass Pfarrer Juch seinen Totengräber verschärft dazu angehalten hatte, das lichtscheue Gesindel zu verjagen. Schon mehrfach hatte er ihn des Nachts durch seine Wirtschafterin unsanft wecken lassen, weil Lärm und Gejohle vom Kirchhof bis zum Pfarrhaus tönten und Heinrich Sahl, seinen Rausch ausschlafend, nichts davon bemerkt hatte.
    »Ich kann es keinesfalls dulden, dass unser heiliger Kirchhof durch diese sündigen Metzen entweiht wird!«, hatte Hochwürden gewettert. Als Sahl ihn nur mit betretener Miene ansah, herrschte er ihn erbost an: »Er, Sahl, hat mir persönlich dafür Sorge zu tragen, dass unser Peterskirchhof nicht durch den effusio seminis aufs Schmählichste geschändet wird!«
    »Was ist denn das, ein … Fusio herminis?«, erkundigte sich der Totengräber begriffsstutzig.
    »Mensch, Kerl, Er kann einem aber auch noch den letzten Nerv rauben!«, schimpfte Pfarrer Juch unwirsch und wand sich regelrecht vor Unbehagen. »Das ist der Erguss männlichen Samens«, murmelte er errötend. »Die Heilige Kurie in Rom hat festgelegt, dass im Falle eines vollzogenen effusio seminis der Kirchhof umgehend entsühnt werden muss. Und diese Schande, mein lieber Sahl, soll meiner Pfarrei erspart bleiben. Also, halte Er sich ran, Bursche, und sorge Er dafür, dass mein Kirchhof nicht zu einem Freudenhaus verkommt!«
    Jetzt packte Heinrich den Spaten verärgert mit festerem Griff, um den Störenfrieden nötigenfalls drohen zu können, und eilte unsicheren Schrittes zur Nordmauer hin. Ein eisiger Novemberwind blies ihm gehörig um die Ohren und trug dazu bei, dass sein Kopf nach dem Trinkgelage ein wenig klarer wurde. Als er den schmalen Durchgang der Mauer erreichte, die den kleineren nördlichen Bezirk von dem weitaus größeren des neuen Gräberfeldes abteilte, tastete er vorsichtig die Maueröffnung ab. Schon einmal war es ihm während eines nächtlichen Kontrollgangs widerfahren, dass er in angetrunkenem Zustand gegen die Mauer gestoßen war und sich an einer der prunkvollen Grabinschriften, welche wohlhabende Frankfurter Bürger in den Schwibbögen hatten anbringen lassen, eine blutige Nase geholt hatte. Dann schob er sich durch den Durchlass.
    Er holte noch einmal tief Luft, um sich in eine gewisse Kampfesstimmung zu versetzen, was dem friedliebenden Mann jedoch kaum gelang. Weitaus lieber wäre es ihm gewesen, sich der weinseligen Müdigkeit zu ergeben und ausgestreckt auf seinem Strohsack in bleiernen Schlaf zu versinken. Eher missmutig als aufgebracht lief er an den kahlen Obstbäumen vorbei in Richtung der nordöstlichen Mauerecke, wo sich, den gedämpften Stimmen nach zu urteilen, die Schlawiner aufhielten. Bald konnte er die Eindringlinge schon als Schemen wahrnehmen. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, strebte, den Spaten fest umklammert, geradewegs auf sie zu und wollte sie gerade in strengem amtlichen Tonfall zurechtweisen. Doch was er dann sah, raubte ihm den Atem. Hastig verbarg er sich hinter dem wuchtigen Stamm einer alten Eiche. Hoffentlich hatten ihn die Unholde nicht bemerkt!
    Er sah vor sich eine Geisterschar in langen schwarzen Gewändern, die Gesichter wie von Blut überzogen. Im nächsten Moment erkannte er, dass es sich um dunkelrote Masken handelte, wie sie die Pestknechte

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