Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
Vom Netzwerk:
helfen sei. Die Krankheit beginne mit hühnereigroßen Schwellungen in den Achselhöhlen und Leisten, die aufbrechen und sich als Geschwüre und schwarze Flecken auf der ganzen Haut ausbreiten würden. Die Gepeinigten litten unter unerträglichen Schmerzen und verschieden meist schon nach wenigen Tagen, erläuterte er mutlos. Alle Ausscheidungen und Exkremente verbreiteten einen durchdringend faulen Gestank, den er einfach nicht mehr aus der Nase bekomme. Wir verabredeten uns für einen der nächsten Tage in derselben Schenke, denn mir war sehr daran gelegen, unseren Kontakt aufrechtzuerhalten. Mir war es schon immer ein Herzenswunsch gewesen, Arzt zu werden, doch als Sohn eines Landjunkers, der einmal das Landgut und die Ländereien der freiherrlichen Familie übernehmen sollte, blieb mir dieser Wunsch bedauerlicherweise verwehrt.
    Wenn es ihm seine Zeit erlaube, komme er in den Abendstunden zu einer kleinen Stärkung vorbei, erklärte der Arzt zum Abschied. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Als ich mich nach einiger Zeit beim Wirt nach ihm erkundigte, sagte mir dieser, der Medicus habe sich im Main ersäuft. Er habe es nicht mehr ertragen, machtlos mit ansehen zu müssen, wie ihm die Menschen unter den Händen wegstarben.
    In dieser Nacht betrank ich mich, so sehr hatte mich die Nachricht über den Freitod des Arztes mitgenommen. Ich verließ die Schenke erst im Morgengrauen, und das grauenhafte Szenario, dessen ich draußen ansichtig wurde, trug nicht dazu bei, meine Stimmung zu heben. Unheimlich anmutende Pestknechte in langen schwarzen Kutten huschten durch die Gassen, um die zahlreichen Leichen einzusammeln. Ununterbrochen zogen Leichenwagen vorbei. Die Leichen stapelten sich vor den Häusern, ein unerträglicher, süßlicher Verwesungsgestank hing in den Gassen. Ich hielt mir angewidert einen Ärmel meines Gewandes vor die Nase, doch es nützte nichts. Der durchdringende Gestank war einfach überall, und bald erging es mir so wie meinem toten Trinkkumpan: Ich bekam ihn nicht mehr aus der Nase und erbrach mich in krampfartigen Schüben neben einem Stapel Pestleichen. Es schauderte mich, überall die aufgedunsenen Toten zu sehen, gleichzeitig faszinierte mich jedoch der Anblick des Todes auf eine eigentümliche Weise.
    In dieser schlimmen Zeit trank ich weit mehr, als mir guttat, um meine Sinne zu betäuben. Eines Nachts, als ich wieder einmal aus der Schenke wankte, vernahm ich in der dunklen Gasse plötzlich ein Poltern und dann ein durchdringendes Quietschen, das mir durch Mark und Bein ging. Ab und zu verstummte das unerträgliche Geräusch für eine Weile, um dann in seiner ganzen Kläglichkeit erneut einzusetzen. Ein Stück weit vor mir, wo das Poltern herzukommen schien, war das flackernde Licht einer Fackel auszumachen. Neugierig geworden, beschleunigte ich meine Schritte und gewahrte im Lichtschein eine Gestalt, bei deren furchterregendem Anblick mir der Atem stockte. Sie trug eine lange rote Kutte mit einem spitz zulaufenden roten Hut. Das Gesicht war von einer blutroten Maske bedeckt. Der Rotgewandete zog einen klapprigen Leiterwagen, auf dem mehrere Pestleichen lagen. Als er meiner ansichtig wurde, blieb er stehen und starrte mich aus seinen dunklen Sehschlitzen an, was derart gespenstisch anmutete, dass sich mir unwillkürlich die Nackenhaare sträubten. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich, Gevatter Tod stünde vor mir und fahre seine Ernte ein. Ich war derart erschrocken, dass ich mich nicht mehr von der Stelle bewegen konnte. Der Rote schien meine Angst zu wittern.
    »Ihr braucht Euch nicht zu fürchten«, erklang seine eigenartig gedämpfte Stimme hinter der Maske.
    »Wer … wer seid Ihr?«, stieß ich hervor.
    »Ich gehöre zu den Brüdern des Mitleids. Wir helfen den Pestknechten beim Einsammeln und Bestatten der Pestleichen.«
    »Darf ich Euch ein Stück begleiten?«, vernahm ich zu meinem Befremden meine eigene kehlige Stimme. Damals war ich mir nicht ganz im Klaren, was da plötzlich über mich kam. Heute dagegen weiß ich: Es war der Ruf des Todes, dem ich folgte.
    Während wir gemeinsam durch die dunklen Gassen zogen, machten wir uns miteinander bekannt. Mein eigentümlicher Gefährte hieß Tobias und war ein einfacher Mann, der in Frankfurt als Gassenkehrer arbeitete. In dem großen Aufruhr, der das Leben der Menschen erfasst hatte, hatte er sich den »Brüdern des Mitleids« angeschlossen, einer nach florentinischem Vorbild gegründeten Bruderschaft, die den Pestknechten

Weitere Kostenlose Bücher